Raus aus der Corona-Krise im Zeichen der Nachhaltigkeit

Acht Empfehlungen des Nachhaltigkeitsrats für den Weg aus der Corona-Krise

Für die Bewältigung der Pandemie-Folgen in Wirtschaft und Gesellschaft wird es entscheidend sein, dass die Weichen von Beginn an richtig im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele gestellt werden.


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Denn für ein grundlegendes Nachkorrigieren wird es keinen finanziellen Spielraum geben. Deshalb empfiehlt der Rat für Nachhaltige Entwicklung, folgende erste ausgewählte Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen:

1. Nachhaltigkeit zum Leitprinzip für alle Schritte raus aus der Krise machen

Nachhaltiges Denken und Handeln beugt Krisen vor und wappnet Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich für den Krisenfall. Nachhaltige Daseinsvorsorge und nachhaltiges Wirtschaften sind das Gebot der Stunde. Ökologisch und sozial nachhaltige Strukturen und nachhaltig wirtschaftende Unternehmen sind nachweislich weniger risikoanfällig.

2. Krise als Chance zur Transformation nutzen

Die tiefgreifenden Folgen der Krise zwingen auch weiterhin zu raschem Handeln. Angesichts der gerade unter Beweis gestellten Fähigkeit unserer Demokratie, auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen zu schnellen und zukunftsweisenden Entscheidungen zu gelangen, eröffnen sich jetzt Chancen für die nächsten Schritte der Transformation zu nachhaltigen Strukturen. Wir setzen auf die schnelle Einführung von sozialen und technologischen Innovationen im Sinne der Nachhaltigkeit, z. B. in Digitalisierung (Bildung und Gesundheit), Energie (Sonne, Wind und Wasserstoff) und Infrastruktur (Energie- und Datennetze). Es sollten dabei die Möglichkeiten zur digitalen Bürgerbeteiligung (ohne Aufgabe eines Erörterungstermins) ausgebaut sowie Verfahren verschlankt und soweit wie möglich beschleunigt werden. Die nötigen Veränderungen in den Sektoren Industrie und Energie, aber auch in Mobilität und Landwirtschaft sollten so zügig wie möglich verwirklicht werden. Entsprechende Innovationen schaffen die Basis für qualitatives Wachstum, verbessern die Krisenprävention und erhöhen die Resilienz. Entscheidend ist, dass die Wirtschaft sich auch am gesellschaftlichen Wohl orientiert.

3. Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt fördern

Die Corona-Krise trifft trotz des bestehenden sozialen Netzes einige Bevölkerungsgruppen sehr stark, insbesondere Familien mit kleinen Kindern sowie Menschen mit geringem Einkommen und ohne größere finanzielle Rücklagen. Die Krise ist also eingebettet in soziale Ungleichheitsstrukturen. Frauen sind insgesamt stärker betroffen als Männer. Deswegen entscheidet jetzt die Wahl der Wege aus der Krise auch darüber, wie es in unserer Gesellschaft in Zukunft um Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt bestellt ist. Es ist dabei wichtig, den Bildungserfolg und die Chancen auf sozialen Aufstieg von der Herkunft zu entkoppeln. Aktuell ist sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen, auch die aus ärmeren und bildungsfernen Familien, erfolgreich an der digitalen Bildung teilnehmen können. Ferner ist auch darauf zu achten, dass Maßnahmen zur Abmilderung der Corona-Krise nicht nur Männerberufe, z.B. in der Industrie, in den Fokus nehmen, sondern Beschäftigungsformen und -verhältnisse von Frauen gleichermaßen berücksichtigt werden. Für die Bewältigung der Corona-Krise zentrale Berufsgruppen, z.B. im Gesundheitswesen und in der Pflege, sollten aufgewertet und entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung fair entlohnt werden, mit entsprechender Berücksichtigung in der Rente.

4. Konjunkturprogramme an Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz binden

Es wäre ein Kardinalfehler, in Schlussfolgerung aus der Krise die beschlossenen Klimaschutz- und Umweltziele aufzuweichen oder zeitlich zu verschieben. Der Klimawandel schreitet voran, Wetterextreme und Dürren nehmen zu. Zusammen mit dem generellen Wachstum der Weltbevölkerung, der Urbanisierung, der globalen Mobilität sowie der Vernichtung von Ökosystemen und der Verringerung der Biodiversität erhöhen sich die Risiken von Krisen, sozialer Not und Pandemien. Daher gilt es jetzt, beim Klima- und Umweltschutz effektiv, aber auch effizient zu handeln, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.

Ein besonderer Akzent sollte einerseits auf diejenigen Branchen gelegt werden, die von der Corona-Krise besonders betroffen und zugleich sehr relevant sind für die Transformation der deutschen Wirtschaft. Beim Wiederaufbau müssen Erhalt und Schaffung von guten Arbeitsplätzen und wirksamer Klimaschutz Hand in Hand gehen. Andererseits gibt es auch viele Unternehmen, die sich bereits vor der Krise im Sinne der Transformation neu ausgerichtet haben. Alle Unternehmen brauchen Planungs- und Investitionssicherheit.

5. Gemeinsame Wiederaufbau- und Transformationsfinanzierung schaffen

Da die Leistungsfähigkeit aller Volkswirtschaften massiv reduziert ist und alle öffentlichen Haushalte extrem belastet sind, kommt der intelligenten Finanzierung von Wiederaufbau und Transformation eine Schlüsselrolle zu. Es gilt, einen geeigneten Mix von Instrumenten zu finden, aus staatlicher Förderung, steuerlichen Anreizen und Finanzierungen über Banken und den Kapitalmarkt, z. B. über Green Bonds und nachhaltige Fonds. Es sind zuverlässige rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Investoren Mittel für die Transformation zeitnah zur Verfügung stellen und nicht potenzielle Verbesserungen der Rahmenbedingungen abwarten. Deshalb sollten die Vorschläge des Sustainable Finance Beirats schnell umgesetzt werden. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft sollten die Verhandlungen zu Sustainable Finance auf europäischer Ebene sowie die Umsetzung des Green Deal vorangetrieben werden. Der deutsche Staat sollte sich zur Refinanzierung ebenfalls des Instruments der Green Bonds bedienen und mit den globalen Nachhaltigkeitszielen konforme Staatsanleihen auflegen.

Unternehmen, die öffentliche Konjunkturprogramme oder sogar Eigenkapital vom Staat in Anspruch nehmen, sollen verpflichtet werden, Nachhaltigkeitskriterien bei der Mittelverwendung und in der Entwicklung ihrer Unternehmen zu beachten und anschließend darüber zu berichten (z. B. über den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, DNK). Dies schließt auch eine Selbstbeschränkung bei Dividenden und Boni ein. Neue Ansätze wie die von der EU-Kommission vorgeschlagene Ergänzung der Rechnungslegungsstandards (Generally Accepted Accounting Principles) um soziale und ökologische Kriterien sind ein wesentlicher Beitrag, um Sozialsysteme zu stabilisieren, aber auch Anreize zu geben für die Finanzierung von Umweltinnovationen durch den Kapitalmarkt. Um einen zusätzlichen Anreiz für Klimaanstrengungen zu schaffen, könnten Zins- und Tilgungsvorteile für die Erreichung von Klimazielen in Aussicht gestellt werden.

6. Lieferketten diversifizieren und Kreislaufwirtschaft stärken

Die Pandemie hat auch Abhängigkeiten von wenig resilienten globalen Lieferketten deutlich gemacht. Gerade in den systemrelevanten Bereichen der Daseinsvorsorge, wie z. B. Gesundheit, Energie, Wasser, Abfall, öffentlicher Personenverkehr sowie digitale Infrastruktur, ist es notwendig, resilienter gegenüber internationalen Krisen zu werden und auch regionale, nationale und europäische Beschaffungsoptionen zur Verfügung zu haben. Zu diesem Zweck ist es wichtig, strategische Wertschöpfungsketten für Europa zu definieren, z. B. bei lebenswichtigen Arzneimitteln. Auch internationale Lieferbeziehungen können resilienter werden, wenn die Lieferketten transparent gestaltet und soziale sowie ökologische Standards beachten würden. Dadurch können auch die wirtschaftlichen Perspektiven des globalen Südens verbessert werden. Unabhängig davon kann die Kreislaufwirtschaft ein strategisches Wachstumsfeld erschließen, mit enormen Umsatz- und Beschäftigungseffekten, aber auch großem ökologischen Potenzial.

7. Ökologische und soziale Zusammenarbeit in der EU stärken

Die Krise ruft nach mehr und besserer Koordinierung in der EU und in ganz Europa. In der EU sollte unter dem Leitgedanken des Green Deals verstärkt zusammengearbeitet werden. Herausforderungen sollten solidarisch angepackt und gelöst werden. Die Bundesregierung sollte deshalb die EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 nutzen, um die Weichen entsprechend zu stellen. Das gilt vor allem für die Bewältigung der Folgen der Pandemie, d. h. die Ausgestaltung von „recovery and transformation packages“. Zu diesem Zweck sollten die mittel- und langfristigen Maßnahmen des geplanten Wiederaufbau-Fonds („recovery fund“) zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung und des European Green Deal intelligent miteinander verwoben und ausgestaltet werden (z. B. durch eine Initiative für die Produktion von grünem Wasserstoff mit Photovoltaik in den südlichen Mitgliedstaaten). Auch der von Kommissionspräsidentin von der Leyen ins Gespräch gebrachte White Deal zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der EU ist ein verfolgungswürdiger Ansatz. Ebenso sollte eine EU-Initiative für mehr Transparenz und Resilienz in den Lieferketten auf die Tagesordnung der Ratspräsidentschaft gesetzt werden.

8. Zusammenarbeit mit dem globalen Süden intensivieren

Globale Pandemien sind nur global zu lösen. Die Krise ist aber auch eingebettet in internationale Ungleichheit. Der zentrale Grundsatz der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der UN – Leave no one behind – ist daher aktuell von großer Bedeutung. Ganz in diesem Sinne müssen gleiche Zugangschancen der armen Länder zu und faire Preisgestaltung von Impfstoffen, Tests, Medikamenten und Schutzvorrichtungen international sichergestellt werden. Darüber hinaus sind mehr Menschen im globalen Süden von den indirekten sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen, eine der größten Hungerkrisen und ein dramatischer Anstieg der Armutszahlen werden erwartet. Die Staatshaushalte der armen Länder sind aber mit der Abfederung der sozialen Folgen vollständig überfordert – zumal viele von ihnen ohnehin bereits stark verschuldet sind. Von daher muss zum einen die Wirtschaftszusammenarbeit intensiviert und die internationale Entwicklungskooperation verstärkt werden – insbesondere zur nachhaltigen Stärkung der Gesundheitsstrukturen und der sozialen Sicherungssysteme (öffentliche Daseinsvorsorge). Zum anderen muss an internationalen Lösungen für Schuldenerlasse gearbeitet werden. Schließlich müssen Deutschland und Europa die Entwicklungs- und Schwellenländer auch weiter beim Klimaschutz, bei der Anpassung an den Klimawandel und bei einer fairen Neugestaltung der Lieferbeziehungen unterstützen und dafür die zugesagten und weiter notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen.

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