Wohin mit den alten Rotorblättern?

Bislang mangelt es an guten Lösungen für das Recycling der Rotorblätter von Windkraftanlagen. Neue Materialien und Verfahren sollen das ändern.


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Es ist potenzieller Problemmüll, der sich am Himmel beständig dreht: Rotorblätter von Windkraftanlagen. Das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie liefert einen groben Richtwert: Pro installiertem Kilowatt Leistung sind bei Windrädern rund zehn Kilogramm Rotorblattmaterial verbaut. Diese Größe hat sich trotz technischen Fortschritts und trotz des Rotorenwachstums kaum verändert.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland Anlagen mit zusammen 534 Megawatt zurückgebaut. Das macht also mehr als 5000 Tonnen an alten Rotorblättern.

Allerdings ist das erst der Anfang. Schließlich geht es beim Rückbau noch um jene Anlagen, die um die Jahrtausendwende errichtet wurden. Die stärksten Aufbaujahre der Windbranche folgten aber erst in den 2010er-Jahren. Somit werden sich die Mengen in absehbarer Zeit deutlich erhöhen.

„In diesem Jahrzehnt ist mit einem Abfallaufkommen von jährlich bis zu 20.000 Tonnen Rotorblattmaterial zu rechnen, für die 2030er-Jahre werden bis zu 50.000 Tonnen pro Jahr vorhergesagt“, teilt das Umweltbundesamt mit.

Beim Rückbau der Windkraftanlagen stehen die Rotorblätter im Fokus, weil sie mit Blick auf die Wiederverwertung die heikelste Komponente sind. „95 Prozent der Masse einer Windkraftanlage sind gut recycelbar“, sagt Steffen Czichon, Abteilungsleiter Rotorblätter beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme in Bremerhaven. Das sind vor allem der Stahl und andere Metalle, die sich einschmelzen lassen. Zudem wird der Beton von Turm und Fundament zu Schotter für den Tiefbau verarbeitet.

Die Rotorblätter dagegen sind schwerer zu entsorgen, denn sie bestehen aus einem Materialmix – einem Kern aus Balsaholz, Glasfasermatten und immer häufiger auch Karbonfasern. Ein Harz hält alle Teile zusammen. Der glasfaserverstärkte Kunststoff (GFK) und der karbonfaserverstärkte Kunststoff (CFK) sind die schwierigsten Materialien im Mix. Beide erfordern jeweils eigene Entsorgungswege.

Den GFK-Müll verwertet bislang vor allem die Zementindustrie. Geschreddert lässt er sich als Zuschlagstoff nutzen. Das ist für die Zementhersteller attraktiv, weil das Silizium der Glasfasern dann Sand ersetzt und die umgebende Matrix aus Kunstharz fossile Brennstoffe einspart.

Dieser Weg sei aber „eher ein Downcycling“, sagt Wissenschaftler Czichon. Denn weder Harz noch Fasern werden stofflich in einen Produktionskreislauf zurückgeführt.

Strompreise bremsen

Allerdings ist der einschlägige Markt turbulent. Das Unternehmen Neocomp in Bremen, ein Pionier beim Schreddern und Aufbereiten der Blätter, musste seine Anlage abschalten, weil ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich war. Das teilte die Eigentümerfirma Nehlsen auf Anfrage mit. Wesentlichen Anteil daran hatten offenbar die hohen Strompreise, wie Branchenkenner berichten.

Der Zementhersteller Holcim, der die aufbereiteten Fasern in der Vergangenheit in seiner Produktion einsetzte, muss aktuell ohne sie auskommen. Ein anderer Lieferant stehe derzeit nicht zur Verfügung, sagt ein Holcim-Sprecher.

Zwischenzeitlich eröffneten sich aber auch andere Entsorgungswege für das GFK. So kommen die Abfälle auch in der Fertigung von Wood Plastic Composite (WPC) zum Einsatz, das ist ein Holz-Kunststoff-Verbundwerkstoff. Daraus lassen sich zum Beispiel Terrassendielen herstellen.

Doch auch das ist nur eine Form von Downcycling – und eine Verschiebung des Problems in die Zukunft. Denn auch die Dielen müssen irgendwann entsorgt werden. Deswegen denkt das Umweltbundesamt über bessere Optionen nach. „Neue Forschungen legen nahe, den Einsatz in der hochwertigeren Glasverhüttung zu prüfen“, erläutert die Behörde.

Ein anderer Weg des Recyclings von Faserverbundmaterialien ist die Pyrolyse. Dabei werden die Kunstharze – also organische Verbindungen – bei hohen Temperaturen und weitgehend unter Ausschluss von Sauerstoff in ihre chemischen Grundbausteine aufgespalten. Übrig bleiben als Feststoffe nur die Fasern. In der Praxis sei das für CFK eine attraktive Option, sagt Fraunhofer-Forscher Czichon – für GFK dagegen nicht.

Das habe wirtschaftliche Gründe. Neue Karbonfasern sind so teuer, dass sich eine Rückgewinnung lohnt. Die Glasfasern dagegen sind in der Neuherstellung zu billig, um den Aufwand der Rückgewinnung zu rechtfertigen. Zwar sind recycelte Fasern von minderer Qualität im Vergleich zur Neuware. Doch aufgrund des Preisvorteils gibt es für die zurückgewonnenen Karbonfasern trotzdem Einsatzbereiche.

Wiederverwertung mitgedacht

Abseits solcher sogenannter End-of-pipe-Technologien, die erst am Ende der Lebensdauer von Windkraftanlagen mit dem Recycling ansetzen, beginnt parallel bei den Herstellern ein Umdenken. Sie planen das Recycling der Rotorblätter bereits bei der Herstellung mit. Die Trennung der Einzelteile ist bei den Verbundstoffen das Hauptproblem, wobei Fortschritte bei den Harzeigenschaften eine Lösung sein können.

Unter dem Namen „Recyclable Blade“ hat der Windkraftanlagen-Hersteller Siemens Gamesa ein Rotorblatt entwickelt, das ein neuartiges Harz verwendet. Der Aufbau und der Produktionsprozess blieben gleich, erläutert Unternehmenssprecher Marco Lange. „Das Harz hat die gleichen Produkteigenschaften wie das herkömmliche Harz, es lässt sich aber am Ende des Lebenszyklus in einer leicht erhitzten milden Säure auflösen.“ Diese sei, sagt Lange, „vergleichbar mit Essigsäure“.

Auf diese Weise könnten „die verschiedenen Komponenten und auch das Harz selbst für neue Anwendungen ohne hohen Energie- oder Kosteneinsatz wiederverwertet werden“, erläutert Lange. So sei es möglich, die Glasfasern beispielsweise in der Automobilindustrie oder für die Produktion von Konsumgütern einzusetzen. Sie könnten aber auch als Rohstoff zur Herstellung frischer Fasern verwendet werden. Sogar das Harz lasse sich für neue Anwendungen ohne hohen Energie- oder Kosteneinsatz wiederverwerten.

Das erste Projekt, bei dem das Recyclable Blade zum Einsatz kam, war im Jahr 2022 der Offshore-Windpark Kaskasi in der deutschen Nordsee. Seitdem seien einige weitere Offshore-Windparks mit den neuartigen Rotorblättern installiert worden, sagt Lange. Diese seien sowohl für Onshore- als auch für Offshore-Windparks verfügbar.

Bislang bezahlten Kunden „für das Plus an Nachhaltigkeit bei den Recyclable Blades noch einen Aufschlag“, erläutert der Siemens-Gamesa-Sprecher. Es sei aber damit zu rechnen, dass die Preisdifferenz bei steigendem Absatz immer weiter verringert werden könne – und dass Siemens Gamesa in Zukunft nur noch Recyclable Blades‧ produzieren werde.

Aufwendige Logistik

In der Praxis gibt es jedoch weitere Herausforderungen – und eine ist die Logistik. Der Transport der riesigen Rotorblätter vor dem Aufbau der Windkraftanlagen ist enorm aufwendig. Die Betreiber wollen deshalb vermeiden, ihn beim Abbau zu wiederholen. „Die Zerlegung der Rotorblätter vor Ort ist am besten“, erläutert Forscher Czichon. Bei Offshore-Anlagen, wo der Seetransport unproblematisch ist, erfolge die Verarbeitung idealerweise im Hafen.

Ganz problemlos allerdings ist auch das Zerstückeln am Einsatzort nicht. Laut Umweltbundesamt besteht die Gefahr, dass karbon- oder glasfaserhaltiger Staub freigesetzt werde, wenn die Rotorblätter direkt am Standort der Windenergieanlage zerkleinert werden.

„Hier müssen entsprechend Verfahren festgelegt werden, damit dieser Staub nicht in die Umwelt gelangt oder die Gesundheit der Arbeitenden beeinträchtigt“, verlangt die Behörde. Forscher Czichon indes erachtet den Aufwand für die Vermeidung von Staubemissionen für vertretbar.

Manche Probleme, die das Recycling verursacht, sind dagegen ganz banaler Art. „Die Dokumentation der Hersteller ist oft schlecht, zum Teil gibt es die Firmen gar nicht mehr“, erklärt Czichon. Dann müssen die Entsorgungsunternehmen sich bei einem neuen Rückbauprojekt immer wieder überraschen lassen, was in den Flügeln verbaut wurde. Immerhin: Es gebe Bemühungen, auch die Dokumentation zu verbessern, weiß der Fraunhofer-Forscher.

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