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Im neuen Jahr sollte die Binnennachfrage auch vor dem Hintergrund weltwirtschaftlicher Unsicherheiten unbedingt weiter gestärkt werden, empfiehlt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Daher seien beispielsweise neue Ausnahmen vom Mindestlohn ökonomisch nicht sinnvoll. Dringenden Handlungsbedarf sehen die Ökonomen bei den öffentlichen Investitionen, die seit Jahren viel zu niedrig sind: Seit 2011 hätte der Bund zusätzlich 140 Milliarden Euro ausgeben können, ohne die Schuldenbremse oder europäische Finanzregeln zu verletzen. „Wären diese Mittel in die öffentliche Infrastruktur geflossen, so wäre der Investitionsstau heute beseitigt.“, schreiben die Forscher in ihrem Jahresausblick zu den wirtschaftspolitischen Herausforderungen 2016, den sie heute in Berlin auf einer Pressekonferenz vorstellen.*
Die Bundesrepublik müsse eine Schrittmacherfunktion für mehr Investitionen im gesamten Euroraum übernehmen. Nur so lasse sich die bereits deutlich zu beobachtende Tendenz stoppen, dass nach Jahren der Krise Maschinenparks und Arbeitskräfteangebot in vielen Euro-Ländern altern bzw. schrumpfen, mahnt das IMK. Auch die Integration von hunderttausenden Flüchtlingen könne nur gelingen, wenn die Investitionen in Infrastruktur und Bildung deutlich ausgeweitet werden. Das IMK berechnet für Deutschland in diesem Jahr einen Spielraum von rund 30 Milliarden Euro für solche Zukunftsausgaben.
Schwacher Welthandel zeigt Grenzen exportgetriebenen Wachstums
In ihrer aktuellen Konjunkturprognose gehen die Düsseldorfer Konjunkturexperten davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2016 um durchschnittlich 1,8 Prozent wachsen wird. Zum moderaten Aufschwung trägt neben dem lebhaften privaten Konsum im Inland eine leichte Beschleunigung der Bau- und Ausrüstungsinvestitionen bei. Der deutsche Export behauptet sich in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld, das einerseits geprägt ist vom schleppenden Wachstum in großen Schwellenländern und Ölförderstaaten, andererseits von kräftiger Nachfrage aus den USA und Großbritannien sowie vom niedrigen Euro-Kurs. „Natürlich kann man sich beim Wachstum mehr wünschen, und wir machen ja auch Vorschläge dafür“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. „Aber man muss auch ganz klar festhalten: Es ist noch nicht lange her, da haben viele Ökonomen eine positive Entwicklung, wie wir sie jetzt erleben, für unmöglich gehalten. Da hieß es, in einer globalisierten Welt sei ein Aufschwung, der sich auch wesentlich auf die Nachfrage im Inland stützt, nicht möglich, weil nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit zähle. Wir sehen jetzt: Das war falsch.“
Dass ein selbsttragender Aufschwung in diesem Jahr trotzdem ausbleibt, beruht der Analyse des IMK zufolge neben den Problemen in China und Brasilien auch auf der weiterhin fragilen Lage in Europa. Zwar wachse in den meisten Euro-Ländern nach der Abkehr vom strikten Austeritätskurs die Wirtschaft wieder. Dieser Aufschwung sei jedoch schwach im historischen Vergleich sowie gemessen an anderen OECD-Staaten. Die Arbeitslosigkeit ist mit 10,7 Prozent im Euroraum-Durchschnitt nach acht Jahren Wirtschaftskrise weiter sehr hoch. Die stark expansive Geldpolitik vermag in der aktuellen Situation zwar stabilisierend zu wirken, ist aber nicht in der Lage, den erforderlichen Aufschwung herbeizuführen. Diese Rolle müsse die Fiskalpolitik übernehmen, so die Forscher. Auch dies spricht für verstärkte öffentliche Investitionen.
Die aktuelle weltwirtschaftliche Situation zeigt nach Analyse des IMK sehr plastisch, dass die von der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und insbesondere der deutschen Bundesregierung favorisierte Anti-Krisenpolitik nicht nachhaltig sei. Nachdem durch Wirtschaftskrise und Sparkurs Löhne, Einkommen und Importe einbrachen, wiesen mittlerweile auch viele Krisenländer mindestens ausgeglichene Leistungsbilanzen auf. Insgesamt betrug der Leistungsbilanzüberschuss des Euroraums im gerade abgelaufenen Jahr 2015 volle 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wobei auch der niedrigere Ölpreis eine Rolle spielte. Da die Schwellenländer als Wachstumstreiber des Welthandels aber zumindest zeitweise ausfielen, sei es sehr riskant, auf ein exportgetriebenes Wachstumsmodell für den Euroraum zu setzen, warnen die Forscher. „Die positiven Einflüsse aus dem Ausland werden daher nachlassen und Europa wird sich verstärkt auf eine Ausweitung der inländischen Nachfrage verlassen müssen“, so das IMK.
Zuwanderer qualifizieren, nicht zu Dumping-Löhnen arbeiten lassen
Das gelte weiterhin insbesondere für Deutschland, dessen enormer Leistungsbilanzüberschuss von 8,7 Prozent des BIP im Jahr 2015 mittlerweile auch die EU-Kommission besorgt. Eine weitere Steigerung der deutschen Löhne sei unerlässlich, um Ungleichgewichte abzubauen. Nach einer aktuellen Untersuchung des IMK sind die Lohnstückkosten in Deutschland zwischen 2000 und 2014 im Jahresdurchschnitt lediglich um 1,0 Prozent gestiegen. Im Jahre 2016 wird der Anstieg voraussichtlich 1,1 Prozent betragen, nach ebenfalls zu schwachen 1,5 Prozent im Jahre 2015.
Vor diesem Hintergrund habe der gesetzliche Mindestlohn im ersten Jahr seines Bestehens wichtige Signale gesetzt und die Lohnentwicklung stabilisiert, betonen die Wissenschaftler. Forderungen, ihn abzusenken oder für Flüchtlinge auszusetzen führten schon allein deshalb in die Irre. „Der Mindestlohn hat dazu beigetragen, einen fatalen Sog nach unten bei niedrigen Einkommen zu stoppen. Diese Herausforderung hat sich nicht erledigt, sondern eher noch verschärft“, sagt Horn. „Die starke Zuwanderung kann eine Chance darstellen, wenn Wirtschaft und Gesellschaft richtig reagieren. Das heißt: Die Zuwanderer qualifizieren. Wir brauchen keine große Zahl von jungen Hilfsarbeitern, die zu Dumping-Löhnen arbeiten, sondern Beschäftigte, die fit sind für unsere moderne Wirtschaft.“
Investitionsoffensive sollte weit über Juncker-Plan hinausgehen
Als zweites Element einer neuen Wachstumspolitik empfehlen die Düsseldorfer Konjunkturforscher deutlich höhere Investitionen in den Euro-Ländern. Der strikte Sparkurs in der Krise habe dazu geführt, dass überall im Euroraum viel zu wenig investiert werde. Die Gesamt-Investitionsquote liege unter 20 Prozent und damit mehr als zwei Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt. Wenn Maschinen und Infrastruktur entsprechend schleppend erneuert würden, reduziere das für die Zukunft die Aussichten auf Produktivitätsgewinne. Zusammen mit der hohen Arbeitslosigkeit, die dazu führe, dass sich zahlreiche Menschen vom Arbeitsmarkt zurückzögen, sei ein schrumpfendes Produktionspotenzial die Folge.
Im „Juncker-Plan“, mit dem die EU-Kommission Investitionen ankurbeln will, sieht das IMK zwar einen Schritt in die richtige Richtung, er reiche aber bei weitem nicht aus. Das zeige sich nach einem Jahr sehr deutlich. So gehe die Kommission davon aus, mit staatlichen Mitteln von 21 Milliarden Euro Investitionen im Gesamtvolumen von 315 Euro über drei Jahre auslösen zu können. Der Hebeleffekt bei vergleichbaren Kreditprogrammen der Europäischen Investitionsbank liege aber derzeit weit unter dem Niveau das nötig wäre, den anvisierten Gesamteffekt zu erzielen, analysieren die Konjunkturexperten. Zudem seien negative Nebenwirkungen zu erwarten, weil der „Juncker-Plan“ stark auf Projekte in „Öffentlich-Privater-Partnerschaft“ (ÖPP) setze. Da die öffentliche Hand deutlich günstiger Kredite aufnehmen könne als private Unternehmen sei es wahrscheinlich, dass ÖPP-Projekte unter dem Strich für den Steuerzahler teurer würden, betont das IMK. Das werde für Deutschland durch Untersuchungen des Bundes- und mehrerer Landesrechnungshöfe unterstützt.
Deutschland ist nach der IMK-Analyse das einzige größere Mitgliedsland der Währungsunion, das derzeit nach den europäischen Fiskalregeln eindeutig über Spielraum für eine Investitionsoffensive verfügt. Er müsse jetzt konsequent genutzt werden, betonen die Forscher. Nach der aktuellen IMK Prognose dürften die öffentlichen Haushalte in Deutschland 2016 trotz Ausgaben für die Flüchtlingsversorgung und -integration in Höhe von 12 Milliarden Euro einen Überschuss von 0,4 Prozent des BIP erzielen. Wenn die Bundesregierung zusätzlich die vom restriktiven Fiskalpakt erlaubten Kredite im Umfang von 0,5 Prozent des BIP ausschöpfe, „könnten die öffentlichen Infrastruktur- und Zukunftsausgaben bei leicht negativer Produktionslücke im Jahre 2016 auch ohne Ausnahmeregelung von diesem engen Korsett um rund 30 Milliarden Euro erhöht werden“, kalkulieren die Forscher. Auch in den Folgejahren seien zusätzliche Investitionen in jeweils zweistelliger Milliardenhöhe notwendig, um den Investitionsstau aufzulösen. Ein Risiko, dass die deutsche Wirtschaft durch die zusätzlichen fiskalischen Impulse heiß laufen könnte, sehen die Ökonomen angesichts einer Arbeitslosenzahl von mehr als 2,6 Millionen und einer beträchtlichen „stillen Reserve“ am Arbeitsmarkt nicht.
Auf der europäischen Ebene müsse das Problem der hohen Investitionsrückstände zu einer Revision der allzu engen Vorgaben durch die Fiskalregeln führen, fordern die Wissenschaftler. Solle der finanzielle Spielraum erweitert werden, „was sicherlich notwendig wäre, um nicht bloß aus der Krise zu kommen, sondern Fortschritte in Richtung der Europa-2020-Ziele zu erzielen, auf die sich die Mitgliedsstaaten ebenfalls verpflichtet haben, dann kommt die Politik nicht um Gesetzes- bzw. Vertragsänderungen herum.“ Um fiskalpolitische Stringenz und bessere Wachstumsbedingungen zu erreichen, empfehlen die Wissenschaftler beispielsweise die Einführung einer „goldenen fiskalpolitischen Regel“, um die Defizitfinanzierung von öffentlichen Investitionen zu ermöglichen.