Notvergaben: Wettbewerb light erforderlich; bei Verstößen Unwirksamkeit?

Die Corona-Pandemie bewirkt auch im Vergaberecht weiterhin spannende Entscheidungen. Gerade das Instrument der Notvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV wird intensiv für die verschiedensten Beschaffungen genutzt. Zuletzt ergingen Beschlüsse des OLG Rostock und des BayObLG über die Beschaffung einer Kontaktnachverfolgungs-App („Luca“) sowie von Corona-Schnelltests. In beiden Entscheidungen wird betont, dass auch bei Notvergaben ein Minimum an Wettbewerb stattfinden muss. Über die Rechtsfolge bei Verstößen bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Notvergabe besteht hingegen noch keine Klarheit.


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OLG Rostock: Kein Wettbewerb bei Notvergabe führt zur Unwirksamkeit des Vertrages

In seiner Entscheidung vom 11.11.2021 bestätigte das OLG Rostock seinen Senatsbeschluss vom 09.12.2020 – 17 Verg 4/20, dass auch in den Fällen der sog. Notvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV mindestens „Wettbewerb light“ stattfinden muss. Im zugrundeliegenden Fall war aufgrund politischer Entscheidungen zugunsten von Öffnungsschritten nach dem „Corona-Lockdown“ ein Bedarf an einer effektiven, elektronischen Kontaktnachverfolgung entstanden. Die Vergabestelle hatte auf der Suche nach einer Lösung zur digitalen Kontaktnachverfolgung im Internet nach Anbietern recherchiert und hielt dabei nur die Anwendung des Auftragnehmers für zuschlagsfähig. Ohne Einholung weiterer Angebote beschaffte sie daher das Luca-System. Dementsprechend fand unter Bezugnahme auf § 14 Abs. 4 VgV, der ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb erlaubt, nach § 17 Abs. 5 VgV keine öffentliche Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen statt.

Nach der Entscheidung des Gerichts durfte sich die Vergabestelle jedenfalls nicht auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV stützen und eine Direktvergabe ohne Wettbewerb vornehmen: Die Alleinstellungsvergabe ist kein Instrument der Notvergabe, sodass sich der Auftraggeber nicht auf zeitlich begrenzte Recherchemöglichkeiten berufen kann.

Voraussetzungen der äußersten Dringlichkeit

Die Voraussetzungen der Notvergabe wegen äußerster Dringlichkeit wurden hingegen bejaht. „Auf Rechtsfolgenseite sieht die Ausnahmeregelung allerdings keine gebundene Direktvergabe ohne jeden Wettbewerb, sondern eine Ermessensentscheidung vor, die sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss. Der Eingriff in den Wettbewerb ist so gering wie möglich zu halten. Dies betrifft einerseits Umfang und Laufzeit des Auftrags, andererseits die Gewährleistung von so viel Wettbewerb wie möglich („Wettbewerb light“). Hierzu sind in der Regel mehrere Angebote einzuholen“, so das Gericht.

Dagegen wurde im entschiedenen Fall durch die direkte Beschaffung der Luca-App verstoßen. Mit einschneidender Rechtsfolge: Nach dem OLG Rostock führt der Verstoß gegen § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV zu einer Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, weil der Antragsgegner in dieser Form nicht vom Gebot europaweiter Ausschreibungen abweichen durfte. Die Frage, ob § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch Fälle erfasst, in denen die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Absehen von der Bekanntmachung vorlagen, und „lediglich“ an anderer Stelle Fehler festgestellt werden, ist umstritten. Das OLG Rostock vertritt die Ansicht, dass sich die Unwirksamkeitsfolge nicht nur auf eine zu Unrecht unterlassene Bekanntmachung bezieht, sondern die vergaberechtliche Zulässigkeit für das gewählte Verfahren bis zur Auftragserteilung als Ganzes bezieht. Ansonsten blieben Vergaberechtsverstöße ungeahndet; der Heimlichkeit würde Vorschub geleistet.

BayObLG: Ermessensfehler bei Bieterauswahl rechtswidrig, aber keine Unwirksamkeit des Vertrages

Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied derweil (Beschluss vom 20.01.2022 - Verg 7/21) über den Ankauf von Antigen-Schnelltests zur Selbsttestung auf das Corona-Virus. Auch dieses Verfahren wurde als Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV geführt. Nach einer Markterkundung forderte die Vergabestelle drei Unternehmen zur Abgabe eines Angebots auf. Ein nicht zur Angebotsabgabe aufgefordertes Unternehmen stellte den Nachprüfungsantrag. Die äußerst dringlichen, zwingenden Gründe für die Verfahrensart wurden auch hier bejaht, weil der Beschaffungsbedarf für die Schnelltests so schnell wie möglich gedeckt werden musste, da Gefahren für Leib und Leben bestanden.

Auf ausreichenden Wettbewerb achten – Abfrage von drei Angeboten

Die Vergabestelle habe hier aber einen ausreichenden Wettbewerb durchgeführt, indem sie drei Bieter zur Abgabe eines Angebots aufgefordert hat. Um den Wettbewerbsgrundsatz zu wahren, müssten zwar regelmäßig mehrere Bieter beteiligt werden. Ein Mindestmaß an Wettbewerb ist allerdings dann gewahrt, wenn zumindest drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Nach § 51 Abs. 2 VgV darf die Mindestzahl der aufzufordernden Bieter bei Verfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht unter drei liegen. Für Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb dürfen daher keine höheren Anforderungen gelten: Die äußerste Dringlichkeit rechtfertigt erst recht, nicht alle in Betracht kommenden Unternehmen zu beteiligen.

Das Gericht sah dann zwar die Auswahl der Bieter aufgrund fehlender Dokumentation als fehlerhaft durchgeführt und stellte insofern eine Rechtsverletzung fest. Es sah darin jedoch keinen Verstoß im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, der zu einer Unwirksamkeit des Vertrags führen würde. Die Vorschrift sei eng auszulegen und stelle lediglich darauf ab, dass die Vergabe ohne europaweite Bekanntmachung erfolgt ist, obwohl dies nicht aufgrund Gesetzes gestattet war. Danach führe nicht jeder nachfolgende Fehler in berechtigt gewählten Verfahren ohne Bekanntmachung zur Unwirksamkeit, auch wenn er zur Folge hatte, dass der Antragsteller keine Chance an einer Teilnahme am Wettbewerb hatte. Wenn dem Wettbewerbsgrundsatz durch die ausreichende Anzahl beteiligter Unternehmen Genüge getan ist, bestehe kein Anlass für die schwerwiegende Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Auftrags.

Besondere Aufmerksamkeit bei Notvergaben erforderlich

Während das OLG Rostock also grundsätzlich davon ausgeht, dass die Unwirksamkeitsfolge von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch bei Verfahrensverstößen trotz zulässigerweise unterlassener europaweiter Bekanntmachung eintritt, zieht das BayObLG genau dort eine Grenze. Jedenfalls dann, wenn auch der Wettbewerb grundsätzlich gewahrt wurde und genügend Bieter am Verfahren beteiligt wurden, soll die Rechtsfolge auch dann nicht verwirkt sein, wenn die Vergabestelle diese Bieter rechtsfehlerhaft ausgewählt hat.

Die Entscheidungen zeigen, dass im Bereich der Notvergabe noch Unklarheiten bestehen, wenn zwar zulässigerweise auf eine europaweite Bekanntmachung verzichtet wurde, im Verfahren aber Rechtsverstöße auftreten. Jedenfalls bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen wie einem gänzlichen Verzicht auf Wettbewerb ist aber, wie das OLG Rostock zeigt, durchaus mit der Unwirksamkeit des Vertrags zu rechnen.

Beim Ausnahmeverfahren der Notvergabe ist also besondere Vorsicht geboten: Nicht nur bestehen ohnehin hohe Anforderungen an die äußerste Dringlichkeit, es sollte auch jeder Schritt des Verfahrens besonders aufmerksam abgewogen werden. Gerne begleitet [GGSC] Sie bei diesen Vorhaben – hier verfügen wir über umfassende Erfahrungen.

Gaßner, Groth, Siederer & Coll. [GGSC]