Krise als Chance

Volkswagen und die deutsche Automobilindustrie Thesen zur Zukunft der Branche Von Prof. Dr. Stefan Bratzel

Der Skandal um die manipulierten Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen durch Volkswagen hat nicht nur den Wolfsburger Konzern in eine Krise gestürzt. In der Öffentlichkeit werden auch die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilindustrie insgesamt und deren Zukunftsstrategien in Frage gestellt. Insbesondere die Dieseltechnologie ist in der Diskussion. Nachfolgend werden einige Thesen zur Umgang der Krise bei Volkswagen und der Zukunft der Branche entwickelt.


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1. Stabilisierung des Volkswagen Konzerns in Krisensituation durch VW-Insider vertretbar

Der Skandal um manipulierte Abgaswerte hat den Volkswagen Konzern in eine noch nie dagewesen Vertrauenskrise gestürzt mit derzeit nur schwer abschätzbaren Folgen. Die direkten und indirekten finanziellen Belastungen aus Strafzahlungen, Schadenersatzzahlungen, Rückrufkosten und Umsatzrückgängen und zusätzlichen Verkaufshilfen sind noch nicht genau kalkulierbar. Sie werden sich vermutlich auf mindestens 20-30 Milliarden aufsummieren. Dank der aktuell noch hohen Finanzkraft wären diese Kostenbelastungen für den Volkswagen Konzern noch verkraftbar.

Allerdings könnten kurz- und mittelfristig weitere "natürliche" Kostenbelastungen auf den Konzern zukommen, die nicht durch den Abgasskandal bedingt sind. Vor allem die konjunkturbedingte Marktschwäche in Volkswagens wichtigster Marktregion China kann zu weiteren Gewinneinbrüchen führen. In Südamerika und Russland ist weiterhin mit keiner Marktbelebung zu rechnen. Insgesamt sind harte Einschnitte zur Kostenreduzierung unvermeidlich, wobei Investitionsentscheidungen bei Produkten und Anlagen zu prüfen sind. Im Falle von anhaltenden Absatzeinbrüchen kommt Volkswagen nicht um Einschnitte bei den Beschäftigten herum. Forschungs- und Technologieentwicklungen können ggf. fokussiert werden, allerdings sind Kostenreduzierungen aufgrund der Relevanz für die künftige Wettbewerbsfähigkeit hier besonders kritisch.

Volkswagen befindet sich durch die Krise aktuell im Modus der "Gefahrenabwehr". Es geht bei der Ermittlung der Problem- und Gefahrenquellen und des Ziehens erster Konsequenzen rund um den Abgasskandals darum, die Stabilität des riesigen Konzerns zu sichern und die organisatorische Handlungsfähigkeit zu bewahren bzw. wieder herzustellen. Das ist angesichts der multiplen Herausforderungen eine herkulesische Aufgabe.

Vor diesem Hintergrund hat die Bestellung der langjährigen Volkswagen Manager Matthias Müller als Konzernchef und Hans Dieter Pötsch zum Aufsichtsratsvorsitzenden unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht zu unterschätzende Vorteile. Sie wissen um die Besonderheiten des Konzerns mit dem speziellen Machtgefüge im Vorstand und im Aufsichtsrat. Denn die gleichzeitige Aufarbeitung des Skandals und die Neujustierung der Organisation mit der Dezentralisierung von Macht und Kompetenzen sind zwar notwendig, aber sehr diffizil und folgenreich. Es erscheint wie eine Notoperation eines stark angeschlagenen Patienten mit offenem Herzen.

Prinzipiell würde die Besetzung der zentralen Leitungspositionen mit Führungskräften außerhalb des Volkswagen Konzerns einen Neuanfang zwar deutlich klarer symbolisieren. Unabhängig von der Frage der Verfügbarkeit geeigneter Kandidaten wäre ein Machtvakuum oder eine längere Einarbeitungsphase in der derzeitigen Krisensituation jedoch fatal.

2. Krise muss als Chance für strukturellen Wandel des Volkswagen Konzerns genutzt werden

Die unbestrittenen unternehmerischen Erfolge von Volkswagen haben viele der seit Jahren bekannten Strukturprobleme und Defizite des Konzerns in den Hintergrund gedrängt. Hierzu zählen sowohl inhaltlich-strategische Themen (Marktkonzentration/ Verwundbarkeit China, Low-Cost Fahrzeuge, Lkw-Allianz; Elektromobilität, Mobilitätsdienstleistungen) als auch organisatorisch-kulturelle Themen wie die Machtkonzentration bzw. Zentralisierung von Entscheidungen, der autokratische Führungsstil, die Verschleppung relevanter strategischer Themen und eine Unternehmenskultur, bei der Kritik häufig nicht willkommen war und Widerspruch sanktioniert wurde. Vermutlich führte im aktuellen Fall der Abgasmanipulation auch der durch die Konzernführung ausgeübte enorme Wachstums- und Kostendruck gepaart mit einer vorherrschenden Kultur der "Angst vor dem Scheitern" der Ingenieure zu der Manipulation.

Es ist Ausdruck fundamentaler Defizite in der Unternehmenskultur und der Kommunikation im Volkswagen Konzern,…  

  • dass die Idee einer Manipulation überhaupt angeordnet, ausgeführt und vom Umfeld toleriert wurde,  
  • dass über ein Jahr versucht wurde, die Abgasmanipulation vor der amerikanischen Umweltbehörde EPA zu verschleiern,  
  • dass selbst die Möglichkeit eines dann durchgeführten Rückrufs im Winter letzten Jahres nicht für eine technische Problemlösung genutzt wurde,  
  • dass die unternehmenspolitische Tragweite einer solchen Täuschung nicht richtig bewertet wurde,  
  • dass nach dem Eingeständnis der Manipulation vor der EPA nicht selbst an die Öffentlichkeit gegangen und die Aktionäre informiert wurde und stattdessen auf der IAA noch "Business as usual" stattfand bevor dann die Umweltbehörde die Bombe" platzen ließ,  
  • dass nur auf enormen Druck von außen und nur schrittweise das Ausmaß der Abgasmanipulation weltweit eingestanden wurde.

Der Abgasskandal bringt diese und andere Strukturdefizite des Volkswagen Konzerns mit Wucht auf die unternehmenspolitische Agenda. Damit birgt diese Krise auch eine enorme Chance für einen grundlegenden strukturellen Wandel der Organisation und Unternehmenskultur. Gelingt dieser Wandel könnte Volkswagen sogar deutlich gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Ohnehin steht die gesamte Automobilindustrie vor den größten Veränderungen ihrer Geschichte, wobei neue Antworten von den Herstellern gefordert sind: Die zunehmende Elektrifizierung der Antriebe, das Thema Autonomes Fahren, der Wandel vom Hardware-Produzenten zum Mobilitätsdienstleister. Künftig stehen die Automobilhersteller auch in Konkurrenz zu neuen Akteuren wie Tesla, Google, Apple oder Baidu, die das Auto der Zukunft mitgestalten wollen. Ein organisatorisch kultureller Wandel mit flexiblen Strukturen und schnellen Reaktionsmustern ist ohnehin eine Voraussetzung, um im künftigen Wettbewerb zu bestehen.

Allerdings braucht es für den technologischen und den kulturellen Wandel enormen unternehmerischen Mut. Dabei sollte trotz aktueller Krise nicht in Vergessenheit geraten, dass der Volkswagen Konzern auch enorme Stärken besitzt, die für den anstehenden Wandel genutzt werden können: ein breites Produkt- und Markenportfolio, hohe Marktpräsenz, eine hohe Innovationsstärke in wichtigen Technologiefeldern und viele hoch qualifizierte Beschäftigte.

3. Unabhängige Untersuchungskommission zur grundlegenden Aufarbeitung der Ursachen der Krise bei Volkswagen und der Wiederherstellung von Vertrauen

Voraussetzung für einen wirklichen Neuanfang ist zunächst die schonungslose Aufarbeitung der Skandal- und Krisenursachen und deren nachhaltige Beseitigung. Dies wird sowohl vom Aufsichtsrat als auch von der neuen Konzernführung prinzipiell zugesagt. Um Vertrauen der Öffentlichkeit und der Kunden wieder herzustellen, wird es wesentlich darauf ankommen, dass die organisatorischen, kulturellen und personellen Gründe vollumfänglich analysiert und transparent aufgearbeitet werden. Eine vorwiegende Symptombekämpfung, die sich etwa nur auf den Austausch einiger Manager beschränkt, könnte fatale Langfristfolgen für den Konzern und deren Mitarbeiter haben.

Fraglich ist, ob für eine grundlegende Aufarbeitung die derzeitigen Maßnahmen einer internen Revision und externen Anwaltskanzlei durch den Aufsichtsrat problemangemessen und ausreichend sind. Wir schlagen daher die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission mit weitreichenden Befugnissen vor, mit dem Auftrag die Problemursachen bei Volkswagen aufzuarbeiten und für die Öffentlichkeit in einem Bericht transparent darzustellen. Die Kommission sollte zusammengesetzt werden aus einer Gruppe von Experten und Persönlichkeiten aus der Wissenschaft und von relevanten NGOs, die mit einer längerfristigen Zeitperspektive eingesetzt werden. Eine solche unabhängige Untersuchungskommission böte die Chance einer grundlegenden Aufarbeitung und würde aufgrund der Unabhängigkeit nach innen und nach außen vertrauensbildend wirken.

4. Politikversagen macht Neuausrichtung der Zusammenarbeit zwischen Politik, Behörden und Automobilindustrie notwendig

Durch den Abgasskandal rücken auch die Beziehungen zwischen Politik und Behörden und der Automobilindustrie ins Rampenlicht. Für die öffentlichen Institutionen steht die Frage eines Politikversagens im Raum. So wurde der Abgasskandal nur auf enormen Druck im Ausland aufgedeckt. Umweltgruppen bzw. unabhängiger Institutionen sowie das Umweltbundesamtbeklagen zu Recht, dass ihre Hinweise auf wachsende Unterschiede zwischen Normverbrauchsangaben und Realverbräuchen von Pkw bzw. hohen Stickoxidbelastungen trotz Umweltzonen nicht ausreichend nachgegangen wurden.

Es stellt sich die berechtigte Frage, ob die Behörden ihren Kontrollpflichten ausreichend nachgekommen sind oder ob es eine im Zeitverlauf sich verstärkende "Kultur des Wegschauens" politischer Institutionen gab. Dies widerspräche den gesellschaftlichen Zielen des Klima- und Gesundheitsschutzes und ist - langfristig - auch ein Bärendienst für die deutsche Automobilindustrie. Es besteht nunmehr im Zuge der Abgasaffäre die Gefahr, dass das Pendel in Richtung einer Überregulierung ausschlägt und gesetzliche Regelungen etwa auf EU-Ebene - auch zu Lasten berechtigter deutschen Interessen - drastisch verschärft werden könnten.

Aus unserer Sicht braucht es eine neue, viel transparentere Kultur der Zusammenarbeit zwischen Politik und Automobilindustrie: Einerseits ist ein intensiver Austausch zwischen Politik und Automobilindustrie zur Gestaltung guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen notwendig und sinnvoll, insbesondere um die große Zahl von Arbeitsplätzen in einem enorm wichtigen Wirtschaftszweig weiterhin zu sichern. Die paradigmatischen Veränderungen der Branche hin zu alternativen Antriebstechnologien oder vernetztem und autonomem Fahren brauchen neue gesetzliche Grundlagen und Regelungen und erfordern teilweise auch staatliche Unterstützung, um im harten Wettbewerb der Industrienationen erfolgreich zu sein.

Andererseits darf der notwendige Austausch der politischen Institutionen mit der Automobilindustrie nicht dazu führen, dass gesellschaftliche Ziele von Umwelt- und Gesundheitsschutz den wirtschaftlichen Zielen untergeordnet oder Kontrollpflichten vernachlässigt werden. Hier braucht es bei Politik und Behörden in Deutschland eine neue Kultur der Kontrolle, neue Kontrollmechanismen und auch harte Sanktionen bei Regelverletzungen. Notwendig ist dabei auch deutlich mehr Transparenz, gerade weil die Politik und Behörden nicht in der Ruch der "Komplizenschaft" kommen dürfen.

5. Dieseltechnologie ist in Europa kurzfristig für die Erreichung der CO2-Ziele nicht zu ersetzen

Die Akzeptanz der Dieseltechnologie bei Autokäufern und bei staatlichen Institutionen leidet durch den Abgasskandal erheblich. Gleichwohl ist die Dieseltechnologie derzeit ein elementarer Bestandteil der CO2-Strategien der Automobilhersteller in Europa. Das liegt einerseits an der höheren Effizienz des Selbstzünders, der sowohl auf dem Prüfstand als auch in der Praxis immer noch erhebliche Verbrauchsvorteile hat, und andererseits an den hohen Absatzanteilen von Dieselfahrzeugen in Europa. Je höher die Segmentklassen desto stärker sind derzeit noch der Dieselanteile, die aktuell rund 47 Prozent der Neuzulassungen in Deutschland ausmachen (Aug. 2015). Während jedoch nur 12 Prozent der Kleinwagen als Diesel verkauft werden, sind es in der Kompaktklasse 42 Prozent, in der Mittelklasse bereits 73 Prozent, bei Geländewagen 80 Prozent und in der durch die Premiumhersteller Audi, BMW und Mercedes dominierten Oberen Mittelklasse sogar 90 Prozent (vgl. Abb. 1). Eine kurzfristige Abkehr von Diesel würde nicht nur zu erheblichen Produktionsproblemen bei den Automobilherstellern führen, sondern hätte auch erhebliche Konsequenzen für deren Klimabilanz.

Eine Auswertung der aktuellen CO2-Emissionen in Deutschland für die absatzstärksten Segmente der Kompaktklasse und Mittelklasse zeigt beim Diesel etwa über 15 Prozent niedrigere Werte im Vergleich zum Benziner. In den Modesegmenten SUV und Geländewagen liegen die Dieselvorteile zwischen 7 und 8 Prozent. In der oberen Mittelklasse bzw. Oberklasse sind die CO2-Emissionen der Dieselzulassungen im Vergleich zu Benzinern sogar 22 bzw. 25 Prozent geringer (vgl. Abb. 1).

6. Längerfristig ohne Diesel?

Die Kosten dieselbetriebener Fahrzeuge sind im Vergleich zum Benziner deutlich höher. Ein modernes Dieselfahrzeug kostet im Vergleich der Hersteller in der Anschaffung im Schnitt rund 2.000-3.000 Euro mehr als ein vergleichbareres Benzinmodell. Treiber der höheren Kosten sind nicht nur die Motoren, die etwa wegen des hohen Drucks in den Zylindern stabiler konstruiert werden müssen, sondern auch die deutlich aufwendigere Abgasnachbehandlung zur Reduzierung von Rußpartikeln und Stickoxiden. Dies dürfte auch der eigentliche Grund für die Manipulation bei Volkswagen gewesen sein. Die Kosten der Abgasreinigung beim Diesel steigen überproportional je strenger die Grenzwerte sind. Wenn nun in den nächsten Jahren die Emissionen - wie zu Recht gefordert - nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch im Realbetrieb eingehalten werden müssen (RDE, Real Driving Emissions), ist mit weiteren Kostensteigerungen für die Abgasnachbehandlung zu rechnen. Dadurch wird die Wettbewerbsposition des Diesels zu anderen Antriebstechnologien weiter beeinträchtigt.

Aus Kundensicht lohnt sich der Kauf eines Dieselmodells aus einer Gesamtkostensicht bereits heute häufig nur noch bei Fahrleistungen von mehr als 20.000 Kilometern im Jahr. Derzeit liegen die jährlichen Fahrleistungen im Durchschnitt nur bei 14.259 Kilometer. Die Amortisationsschwelle dürfte sich in den nächsten Jahren noch weiter nach oben verschieben. Im Falle steigender Neuwagenkosten für Dieselfahrzeuge oder wenn der steuerliche Preisvorteil, den der Dieselkraftstoff in Deutschland genießt, wegfallen sollte, wird die Rechnung für den privaten und gewerblichen Kunden immer weniger aufgehen.

Die deutschen Automobilhersteller werden die CO2-Grenzwerte für 2020/21 in Europa also nicht ohne Diesel als Antriebstechnologie schaffen. Eine unmittelbare Abkehr vom Diesel dürfte die Hersteller sogar in erhebliche Turbulenzen stürzen, da die Roadmap für die kommenden Serienfahrzeuge der nächsten 3-5 Jahre kaum noch zu ändern ist. Im Falle des Verfehlens der Grenzwerte drohen überdies hohe Strafzahlungen an die EU. Bei den anstehenden Verhandlungen zu neuen CO2- Messzyklen und ggf. sich real verschärfender Grenzwerte ist dieser Umstand von Behörden auf EU-Ebene zu berücksichtigen.

Allerdings hat sich der Pkw-Dieselantrieb außerhalb Europas bislang nicht durchgesetzt. In den USA wurden seit 10 Jahren erhebliche Anstrengungen zur Steigerung der Akzeptanz des Diesel-Marktanteils unternommen - mit nur mäßigem Erfolg. Mit der Abgasaffäre dürfte der Diesel in den USA auf absehbare Zeit diskreditiert sein. Die deutschen Hersteller müssen nun hinterfragen, ob die Weiterentwicklung der Dieseltechnologie mittel- und langfristig noch sinnvoll ist.

Modellrechnungen des CAM zeigen, dass für eine Reduktion der CO2-Emissionen der Dieselantrieb nicht leicht ersetzen ist. Erforderlich ist eine erhebliche Konzentration der Entwicklungsanstrengungen. Um etwa im Vergleich zu heute die CO2-Emissionen in Deutschland durch Elektrofahrzeuge (BEV) auf rund 95g/km zu senken, müsste der E-Anteil auf 25 Prozent der Neuwagenzulassungen steigen. Das ist kurzfristig schwer vorstellbar.

7. Diesel-Krise als Initialzündung zur nachhaltigen Förderung der Elektromobilität

Der Diesel-Abgasskandal sollte als Initialzündung für eine Neuorientierung der Antriebsstrategien der deutschen bzw. europäischen Automobilindustrie dienen. Derzeit vollführen die deutschen Automobilhersteller einen zwar historisch verständlichen, aber immer aufwendigeren und teureren technologischen Spagat: So wird einerseits die Benzin- und Dieseltechnologie durch vielfältige Maßnahmen optimiert, wobei zunehmend die Grenzkosten für Effizienz-Innovationen steigen. Andererseits investieren die Hersteller auch parallel intensiv in neue Technologien im Bereich der Plug-in Hybride, Elektroantriebe- und teilweise auch der Brennstoffzellen. Dieser Spagat des "sowohl-als-auch" verschlingt viele Milliarden an F&E-Geldern und birgt das Risiko einer strategischen "Verzettelung". Die deutschen Hersteller sollten intensiv prüfen, ob sie den schweren "Rucksack" bisheriger Technologien nicht besser ablegen und sich konsequenter neuen Antriebstechnologien zuwenden sollten. Neue Wettbewerber wie Tesla oder künftig etwa Apple bündeln bereits ihre Ressourcen auf die Elektromobilität.

Die deutschen Hersteller haben in den letzten Jahren ihre Kompetenzen im Bereich der Plug-in Hybride und der Elektromobilität ausgebaut und können diese Aktivitäten prinzipiell auch verstärken. Allerdings liegt mit der Batteriezelltechnologie ein zentraler Wertschöpfungsbaustein bislang nicht in Deutschland, sondern vor allem im Südkorea und Japan. Dieser Zug ist für diese Batteriegeneration zunächst auch "abgefahren". Wir fordern eine "konzertierte Aktion" von Herstellern, Zulieferern und Regierung, um die nächste bzw. übernächste Generation von Batteriezellen wieder in Deutschland entwickeln zu können. Dieser Schritt würde jedoch einen hohen Kooperationswillen und Mut zum Wandel der Akteure erfordern. Freilich müssten auch weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden, nicht zuletzt der Aufbau einer dichten Schnellladeinfrastruktur. Die Diesel-Krise wäre damit eine Chance für die Automobilindustrie.

Krise als Chance - Anhang 1
Dr. Bratzel Center of Automotive Management GmbH & Co. KG