Mobil – aber weniger fossil

Landkreis Neu-Ulm lässt derzeit ein Mobilitätskonzept erstellen

Bei der ersten Sitzung der Lenkungsgruppe wurden Chancen für einen klimaverträglicheren Verkehr diskutiert

Sich fortbewegen zu können ist ein Urbedürfnis des Menschen. Im Zeitalter der Massenmobilität ist daraus indes fast ein kollektiver Wahn geworden: Wir fahren mit dem Auto oder Motorrad, pendeln mit der Bahn, fliegen mit dem Flugzeug, bewegen Güter mit dem Containerschiff, dem Güterzug und dem Lastkraftwagen – und das 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr.


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All das verbraucht unaufhörlich und irreversibel fossile Brennstoffe und bläst Unmengen klimaschädlicher Treibhausgase in die Atmosphäre.

Ausweislich des Integrierten Klimaschutzkonzeptes von 2012 verursacht der Verkehr 36 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen im Landkreis Neu-Ulm. Nur die Wirtschaft hat mit 45 Prozent noch mehr auf dem Kerbholz. Entsprechend lässt der Landkreis gerade ein Klimaschutz-Teilkonzept Mobilität ausarbeiten – mit dem Ziel, den heimischen Verkehr nachhaltiger und weniger klimaschädlich zu machen. Nun fand dazu im Landratsamt Neu-Ulm die erste Sitzung der Lenkungsgruppe statt.

Dort stellte die Arbeitsgemeinschaft aus der Umwelt-Projekt-Agentur „Green City Projekt“, der Prof.-Schaller-Umwelt-Consult-GmbH (PSU) und von Prof. Dr.-Ing. Gebhard Wulfhorst (Technischen Universität München), die der Umwelt- und Werkausschuss des Landkreises am 16. April dieses Jahres beauftragt hat, den bisherigen Stand der Analysen vor. Nach der einleitenden Sondierungsphase sei man zurzeit in der Datenerhebung (Juni/Juli 2015), im August und September sollen Experten per Fragebogen und an einem Runden Tisch um ihre Einschätzung und Auffassung gebeten werden.

Über drei Mobilitätswerkstätten (im November 2015 sowie im Januar und Februar 2016) werden auch die Bürgerinnen und Bürger sowie die Vertreter der kreisangehörigen Städte und Gemeinden an dem Entwicklungsprozess beteiligt. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist ein besonderes Anliegen von Landrat Thorsten Freudenberger, „denn mit ihrer Bereitschaft zur Verhaltensänderung steht und fällt das Mobilitätskonzept“.

Bis Ende März 2016 soll dann die Lenkungsgruppe ein drittes und letztes Mal getagt haben und anschließend ein konkreter Aktionsplan auf dem Tisch liegen. Schließlich wird der Kreistag im April 2016 über das Mobilitätskonzept beraten und beschließen.

Was dann in etwa im Aktionsplan stehen könnte, schälte sich bei der ersten Lenkungsausschusssitzung in einer regen und konstruktiven Diskussion heraus.

Stellvertretender Landrat Roland Bürzle, der Landrat Thorsten Freudenberger vertrat, hob gleich zu Beginn die Regio-S-Bahn auf die Agenda. Einig waren sich die Diskutanten, dass der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nur dann zum gewünschten Erfolg führen werde, wenn es gelinge, ihn so attraktiv auszugestalten, dass er dem Auto echte Konkurrenz macht. Denn eines zeigen die Ist-Zahlen: Das eigene Auto ist nach wie vor das bevorzugte Verkehrsmittel der Mehrzahl der im Landkreis Neu-Ulm lebenden Menschen. Wie Dr. Johannes Gnädinger von PSU recherchiert hat, kommen im Landkreis Neu-Ulm auf 100 Einwohner 63 Pkw, der bayernweite und schwabenweite Durchschnitt liegt jeweils bei 59 Prozent.

Der CO2-Ausstoß durch den motorisierten Individualverkehr (MIV) hat von 1990 bis 2010, also in 20 Jahren, um 18 Prozent zugenommen. Beim Straßengüterverkehr ist er im gleichen Zeitraum sogar um 68 Prozent gestiegen.

Ziel müsse daher sein, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen. Kritisiert wurde die ausgeprägte Just-in-Time-Mentalität und die geografische Arbeitsteiligkeit in der Industrie, die mehr Verkehr und damit eine höhere Belastung der Natur und des Klimas (externe Kosten) mit sich brächten. Hier gelte es durch Anreize und intelligente Alternativen das Verhalten der Entscheidungsträger in der Wirtschaft zu verändern.

Wie erreiche ich Verhaltensänderungen bei der Mobilität? Dies ist die entscheidende Frage – auch beim Personenverkehr. Herbert Pressl, Kreisrat der CSU aus Vöhringen, regte ein „attraktives Marketing“ an, das insbesondere auch jüngere Generationen anspricht. Denn nicht nur das Angebot, sondern auch das Image des ÖPNV müsse verbessert werden. Gabriele Rzehak-Wartha, Kreisrätin der Grünen aus Neu-Ulm, meinte dagegen, dass es vor allem eines „dichteren Takts in den ländlichen Gebieten“ bedürfe.

Rauno Andreas Fuchs von „Green City Projekt“ sprach von „Bewusstseinsbildung“: „Mobilität ist ein unheimlich emotionales Thema, darum muss es auch entsprechend kommuniziert werden.“ Hier könne man auch viel von der Automobilindustrie lernen, die genau das seit Jahrzehnten sehr erfolgreich vormache, so Projektleiterin Marianne Pfaffinger von „Green City Projekt“.

Eine wichtige Zielgruppe, so war man sich einig, ist dabei die sehr autoaffine mittelalte und ältere Generation. Die heute 18- bis 30-Jährigen legen dagegen nicht mehr den hohen Wert auf das eigene Auto wie ihre Eltern oder Großeltern. „Der Zugriff aufs Auto ist für die jüngere Generation wichtiger, als es selbst zu haben“, sagte Volker Jescheck, der Leiter des Stadtplanungsamtes Ulm.

Dr. Jürgen Bischof, Kreisrat der Freien Wähler aus Weißenhorn, setzt auf Fahrgemeinschaften sowie Mitfahr- und Car-Sharing-Angebote. Roland Bürzle gab dabei zu bedenken, dass „Car2go“ in Ulm/Neu-Ulm gescheitert sei. „Angeblich war die Doppelstadt zu klein.“ Berater Dr. Johannes Gnädinger relativierte: „Vielleicht war das Car-Sharing-Angebot hier auch zu früh dran, später könnte es klappen.“

Ein großes Potenzial wird auch in der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitsprozesse (Stichwort: Industrie 4.0) gesehen. Die Zukunft hat bei vielen Unternehmen schon begonnen: Immer öfter kommt der Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit in die Firma oder die Fabrik, sondern die Arbeit kommt zu ihm über Datenfernübertragung (Internet, E-Mail, Fax, Telefon). Er kann zu Hause arbeiten („Home Office“), auf Dienstreise oder im Café. Fahrten entfallen so – und die Umwelt wird geschont.

Mobil sein, ohne Sprit zu verbrauchen und Abgase in die Luft zu blasen – auch das funktioniert: nämlich, indem man zu Fuß geht oder mit dem Fahrrad fährt. Markus Krämer, Stadtbaudirektor von Neu-Ulm, sieht einen Trend zum Drahtesel. Inzwischen gebe es „tolle, stylische Fahrräder“ und – nicht zu vergessen – Elektroräder („E-Bikes“), die nicht nur durch hohe Zuwachsraten beim Verkauf Aufsehen erregen. Das Urbedürfnis des Menschen, sich fortzubewegen, muss also nicht zwangsläufig zu Lasten des Klimas und der Natur gehen.

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