Münsterländisches UVP-Schisma ist beendet

8. Senat des OVG NRW schließt sich BVerwG-Rechtsprechung an

Die Menschen sind schon seit jeher unterschiedlicher Auffassung und können sich über alles streiten. Häufig waren religiöse Motive der Anlass für Streitigkeiten, so z.B. beim Morgenländischen Schisma, durch das die christliche Kirche in eine orthodoxe und eine römisch-katholische Kirche zerfiel.


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Oder beim Abendländischen Schisma, das durch zwei Päpste geprägt war. Selbstverständlich können sich – das ist eine berufsbedingte Zwangsläufigkeit – auch Juristen streiten. Auch Verwaltungsrichter. Auch am selben Gericht.

Zuletzt kam es aufgrund divergierender Rechtsprechung verschiedener Senate des OVG NRW zu einem Schisma über die Frage, ob die durch § 4 Abs. 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) eröffnete Möglichkeit, Verfahrensfehler im Zusammenhang mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) rügen zu können, originär eine Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO eröffnet.

Diese Frage ist im Bereich des Umweltschutzes von erheblicher Praxisrelevanz: Grundsätzlich kann nach deutschem Verwaltungsprozessrecht, § 42 Abs. 2 VwGO, eine Klage gegen behördliche Entscheidungen, die Errichtung und Betrieb UVP-pflichtiger Vorhaben zulassen, in zulässiger Weise nur von einer (natürlichen oder juristischen) Person erhoben werden, die die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte durch die Behördenentscheidung geltend machen kann. Geht es um die Verletzung von Vorschriften über die Durchführung einer UVP für das betreffende Vorhaben, sind anerkannte Umweltschutzvereinigungen privilegiert: Diese können gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, verwaltungsprozessuale Rechtsbehelfe gegen eine solche Behördenentscheidung einlegen. Alle anderen Personen müssen eine mögliche Verletzung eigener Rechte darlegen, andernfalls ist ihr Rechtsbehelf gemäß § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig. Würde nun aus § 4 Abs. 3 UmwRG eine eigenständige Klagebefugnis folgen, käme es nur noch auf die Behauptung von UVP-Verfahrensfehlern an, um eine zulässige Klage erheben zu können. Das würde sowohl natürlichen Personen als auch (Standort- oder Nachbar-) Gemeinden, soweit sie Teil der von dem UVP-pflichtigen Vorhaben betroffenen Öffentlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 9 UVPG sind, weitreichende Klagemöglichkeiten jenseits eigener subjektiver Rechte eröffnen.

In der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BVerwG wird eine so weitreichende Klagebefugnis jedoch abgelehnt. In einem Urteil des BVerwG vom 22.02.2015 heißt es explizit, dass nur ein „gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugter Dritte“ ein Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG im Wege einer Klage rügen darf. So waren auch bereits frühere Entscheidungen des BVerwG zu älteren Gesetzesfassungen des UmwRG zu verstehen. Zuletzt bestätigte das BVerwG diese Auffassung in einem Beschluss aus dem Jahr 2016.

Das OVG NRW schloss sich der BVerwG-Rechtsprechung zunächst mit seinem 20. Senat an, der im Jahr 2013 entschied, dass „weder die Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung noch die des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, insbesondere dessen § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3, […] subjektive Rechte des Einzelnen“ begründen.

Der 8. Senat des OVG NRW hingegen wich von dieser Rechtsprechung über mehrere Jahre ab. Erstmalig vertrat er im Jahr 2014 seine gegenteilige Auffassung, gefolgt von einem Urteil aus dem Jahr 2015 und einem Eil-Beschluss vom 18.12.2015. Der 8. Senat war dabei stets der Auffassung, dass „die betroffene Öffentlichkeit i.S.d. Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie bzw. § 2 Abs. 6 UVPG […], im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der Richtlinie angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können“ muss. Daher eröffne die in § 4 Abs. 3 UmwRG erfolgte Bezugnahme auf die nach § 61 Nr. 1 VwGO am Verwaltungsprozess Beteiligten z.B. auch Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit grundsätzlich ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler. Nach dieser Rechtsauffassdung waren also Gemeinden unmittelbar aus § 4 Abs. 3 UmwRG klagebefugt, wenn sie als Teil der betroffenen Öffentlichkeit i.S.d. Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie bzw. § 2 Abs. 6 UVPG zu qualifizieren waren. Auf die Möglichkeit der Verletzung subjektiver Rechte kam es nach dieser Auffassung hingegen nicht weiter an. Das OVG NRW ging also auf Konfrontationskurs zum BVerwG.

Der 8. Senat war aber auch innerhalb des OVG NRW allein mit seiner abweichenden Meinung, weil er nicht nur von der Rechtsprechung des 20. Senat des OVG NRW abwich. Auch der der 11. Senat des OVG entschied zuletzt in einem Beschluss vom 04.09.2017 – und im Widerspruch zur Auffassung des 8. Senats –, dass „die Vorschrift des § 4 UmwRG […] nicht die Berufung auf die in Rede stehenden Verfahrensfehler auch solchen Personen eröffnen [will], die nicht schon aufgrund einer möglichen Betroffenheit in einem materiellen Recht klagebefugt sind. Die Norm lässt vielmehr den individual-rechtsbezogenen Ansatz des § 42 Abs. 2 VwGO unangetastet und weitet durch Verzicht auf die sonst geltenden Einschränkungen der Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern lediglich – insofern § 47 VwGO ähnelnd – den gerichtlichen Umfang der Begründetheitsprüfung gegenüber der Prüfung der Klagebefugnis aus.“

Nachdem der 8. Senat des OVG sogar noch weniger Tage später in einem Beschluss vom 23.10.2017 zunächst dennoch an seiner divergierenden Rechtsauffassung festhielt, gab er diese Auffassung nun aber – richtiger Weise – auf: In seinem Urteil vom 11.12.2017 (Az.: 8 A 926/16, z.Zt. noch nicht frei abrufbar) hat sich der 8. Senat aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der mittlerweile gefestigten Entscheidungspraxis des BVerwG angeschlossen und vertritt nunmehr ebenfalls die Auffassung, dass § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG keine eigenständige Klagebefugnis begründet. Der 8. Senat des OVG NRW stellte damit klar, dass „Form- und Verfahrensvorschriften subjektive Rechte, die Grundlage einer Klagebefugnis sind, grundsätzlich nicht selbstständig, sondern nur unter der Voraussetzung begründen, dass sich der behauptete Verstoß auf eine materiell-rechtliche Position des Klägers ausgewirkt haben können. Dies gilt auch für die Rüge, dass die UVP-Vorprüfung fehlerhaft im Sinne von § 4 Abs. 1 UmwRG sei, weil sie nicht zu dem richtigen Ergebnis komme, dass es der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurft hätte. § 4 Abs. 3 UmwRG, wonach § 4 Abs. 1 UmwRG auch für Rechtsbehelfe sonstiger Beteiligter i.S.d. § 61 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO Anwendung findet, betrifft hiernach nur die Sachprüfung im Rahmen eines zulässigen Rechtsbehelfsverfahrens, hat aber für die Beurteilung der Klagebefugnis keine Bedeutung.“

Diese Anpassung der Rechtsprechung des 8. Senats ist mehr als zu begrüßen und schon lange fällig gewesen. Die Auffassung, dass sich aus dem UmwRG eine Klagebefugnis für jedermann unabhängig davon herleiten ließe, ob die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO vorliegen, verkennt grundlegend die Regelungsstruktur der UVP-Richtlinie. Es folgt aus der UVP-Richtlinie deswegen keine eigene und von der Erfüllung des § 42 Abs. 2 VwGO unabhängige Klagebefugnis (auch nicht über die Anwendung des § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG), weil die UVP-Richtlinie selbst in Art. 11 Abs. 1 Buchst. b) UVP-RL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, Rechtsmittel gegen Zulassungen für UVP-pflichtige Vorhaben von der Erfüllung einer verwaltungsprozessualen mitgliedstaatlichen Vorschrift abhängig zu machen, die die Geltendmachung einer Rechtsverletzung fordert. § 42 Abs. 2 VwGO stellt eine solche verwaltungsprozessuale mitgliedstaatliche Vorschrift dar, sodass – unionsrechtskonform zur UVP-RL – für die zulässige Geltendmachung von UVP-Verfahrensfehlern die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverletzung vorliegen muss.

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