Das Merit-Order-Dilemma der Emissionen

Etwa die Hälfte aller energiebedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland sind der Energiewirtschaft zuzuschreiben

Die Reduktion dieses Bestandteils ist schon seit Jahren ein zentraler Baustein der energiepolitischen Agenda zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele.


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Der Ausbau der Erneuerbaren Energien stellt dabei nur eine Maßnahme zur Reduktion der Emissionsintensität von Strom dar. Darüber hinaus gilt es den bestehenden, fossilen Kraftwerkspark in Einklang mit den Emissionsreduktionszielen zu bewirtschaften. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Ausbau von Windturbinen und Photovoltaikanlagen um einen Prozess handelt, der mit verschiedenen Systemanpassungen wie beispielsweise einem adäquaten Netzausbau einhergeht, wird dieser Umbau nicht von heute auf morgen geschehen. Der fossile Kraftwerkspark wird noch über viele Jahre einen sinkenden, aber bedeutsamen Anteil an der Stromerzeugung haben. Aufgrund der deutlichen Unterschiede in den Emissionsfaktoren der verfeuerten Brennstoffe und der unterschiedlichen Nutzungsgrade der Kraftwerke ist es aus Emissionssicht nicht unerheblich, welche Brennstoffe und Kraftwerkstypen zum Einsatz kommen.

Zentral ist an dieser Stelle das Prinzip der "Merit-Order", der sogenannten Reihung nach Wert. Bei der Merit-Order der Stromerzeugung handelt es sich um eine Aneinanderreihung der Kraftwerkskapazitäten nach Grenzkosten. In einem perfekten, liberalisierten Markt könnte der Einsatz der Kraftwerke durch einen senkrechten Schnitt auf Höhe der Residuallast des jeweiligen Zeitpunktes bestimmt werden. Der reale Strommarkt sieht jedoch oftmals anders aus: Technische Restriktionen, Eigenverbrauchsoptimierungen, Verfeuerung von Abfall oder Reststoffen, Deckung von Fernwärmebedarfen sowie regulatorische Anreize (z. B. vermiedene Netznutzungsentgelte oder die Förderung nach KWK-Gesetz) führen teilweise zu einem Kraftwerksteinsatz, der nicht allein durch den Grenzkostenansatz des Merit-Order-Prinzips zu erklären ist. Nichtsdestotrotz besitzt die Merit-Order als Erklärung für die grundsätzliche Funktionsweise des Strommarkts ihre Gültigkeit. So auch zur nachfolgenden Analyse von regulatorischen Eingriffen mit dem Ziel einer Treibhausgasminderung der Stromerzeugung.

Zur Einhaltung der Klimaziele sind häufig Instrumente zur Erhöhung der Kosten für die Emission einer Tonne CO2 im Gespräch. Für eine Umsetzung sind verschiedene Wege denkbar und finden teilweise in anderen europäischen Ländern bereits Anwendung:

  • Anpassung der Zertifikatpreise des EU ETS (European Union Emissions Trading System) durch eine Verknappung der im Umlauf befindlichen Zertifikatsanzahl
  • Ein europäischer CO2-Mindestpreis
  • Eine nationale CO2-Steuer/-Abgabe

All diese Ansätze zielen im Kern darauf ab, die aktuell - im Vergleich zu den im Energie- und Klimafonds ursprünglich kalkulierten 17-20 €/t - sehr niedrigen Zertifikatspreise von etwa 7 €/t (Dezember 2017) aus- oder anzugleichen, um eine stärkere CO2-Reduktion herbeizuführen. Als alternative Maßnahme wird ein Kohleausstieg vorgeschlagen, der einer schrittweisen, gesetzlich vorgegebenen Außerbetriebnahme von Kohlekraftwerken entspricht. Mit einem Blick auf die Emissionen nach Merit-Order wird ersichtlich, wieso diese Überlegungen durchaus ihre Berechtigung haben.

In Abbildung 1 wird durch die Gegenüberstellung der Merit-Order nach Grenzkosten und den dazugehörigen Emissionsfaktoren der Kraftwerke das Emissions-Dilemma der Merit-Order verdeutlicht. Die Berechnung der Grenzkosten und der CO2-Emissionsfaktoren der Stromerzeugung basiert dabei auf den brennstoffbezogenen Emissionsfaktoren aus [2] sowie den Brutto-Wirkungsgraden, Brennstoff- und CO2-Kosten aus dem FfE-Projekt "MONA 2030" [3]. Es ist zu beachten, dass nur die energiebedingten CO2-Emissionen im Betrieb berücksichtigt werden, nicht jedoch Emissionen, die für die Brennstoffbereitstellung und die Infrastruktur anfallen. Da in der klassischen Merit-Order-Darstellung die Grenzkosten von Kraft-Wärme-Kopplungs(KWK)-Anlagen nicht auf die Energieträger Strom und Wärme aufgeteilt werden, erfolgt aus Konsistenzgründen auch für die Darstellung der Emissionen keine Allokation auf die Koppelprodukte.

Werden die rein betriebsbedingten Emissionen betrachtet, so zeigt sich, dass – mit Ausnahme der Kernenergie – emissionsintensive Brennstoffe aufgrund ihrer niedrigen Grenzkosten bevorzugt zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Selbst hocheffiziente Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (GuD) kommen nach Merit-Order-Prinzip erst nach emissionsintensiveren Steinkohlekraftwerken zum Einsatz. Besteht kein weiterer Betriebsanreiz, wie beispielsweise die Versorgung eines Fernwärmenetzes, können die in den letzten Jahren zurückgehenden Residuallasten auf unter max. 67 GW (2017) dazu führen, dass diese Kraftwerke aufgrund sinkender Betriebsstunden und Deckungsbeiträge häufig nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Ein prominentes Beispiel stellt das GuD Irsching dar. In Anbetracht der verhältnismäßig geringen spezifischen Emissionen dieses Kraftwerkstyps ist die Motivation für einen regulatorischen Eingriff aus klimapolitischer Sicht gegeben.

Wie eingangs erläutert bestehen verschiedene Ansätze, um einen emissionsreduzierten Einsatz des fossilen Kraftwerksparks anzureizen. Mögliche Konsequenzen der beiden Strategien "CO2-Preis" und "Kohleausstieg" werden im zugehörigen Arbeitspapier anhand ihrer Auswirkungen auf die Merit-Order diskutiert.

Die Identifikation von kosteneffizienten CO2-Verminderungsoptionen auch in anderen Sektoren ist eine große Herausforderung, bei der die Energiesystemforschung einen wichtigen Beitrag liefern kann. Diese Themen sind Gegenstand des Projektes „Dynamis - Dynamische und intersektorale Maßnahmenbewertung zur kosteneffizienten Dekarbonisierung des Energiesystems“ (Förderkennzeichen: 03ET4037A), im Rahmen dessen der vorliegende Beitrag entstanden ist.

Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft e.V. (FFE) direkter Link zum Artikel