Akuter Handlungsbedarf des Bundes bei Stickstoffbelastung der Luft

Hessens Umweltministerin Hinz fordert Bundesumweltministerin Hendricks in einem Brief zur Unterstützung der Länder und der Kommunen auf

„Deutschlandweit können weder Länder noch Kommunen derzeit sicherstellen, dass die zum Schutz der Gesundheit festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) an verkehrsreichen Straßen eingehalten werden“, so Hessens Umweltministerin Priska Hinz in ihrem Brief an die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Trotz Fortschreibung und Umsetzung von Luftreinhalteplänen (LPR), welche die Maßnahmen zur Luftreinhaltung festsetzen, schaffen es die Kommunen nicht die Grenzwerte einzuhalten.


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In Hessen, z.B. in Darmstadt, wurden die Instrumente zur Schadstoffminderung im Straßenverkehr bereits deutlich verschärft um die Stickstoffdioxidgrenzwerte einzuhalten. Darunter fallen z.B. strikte LKW-Durchfahrverbote. Auch bei anderen Kommunen wird auf durchgreifende Maßnahmen setzen müssen.

Eine Reihe von Klagen durch Umweltverbände, zuletzt auch am Verwaltungsgericht Wiesbaden in Hessen, hat das Problem wiederholt deutlich gemacht. Jede weitere Klage kann von den zuständigen Behörden ohne zusätzliche rechtliche Regelungen des Bundes bzw. der EU nur verloren werden. Die auf lokaler oder regionaler Ebene inzwischen nur noch sehr begrenzt vorhandenen Minderungsmöglichkeiten betrachten die Gerichte nicht als ausreichenden Grund an, den Immissionsgrenzwert weiter zu verfehlen. Dieser Zustand ist weder für die betroffenen Anwohner viel befahrener Straßen noch für Länder und Kommunen auf Dauer haltbar.

Im Zusammenhang mit der anhaltenden Überschreitung des NO2-Immissionsgrenzwertes, hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. „Auch vor dem Hintergrund dieses Verfahrens, ist es zwingend notwendig, dass der Bund sich deutlich stärker einbringt um die Stickstoffdioxidbelastung in Deutschland spürbar zu senken. Bei dieser Aufgabe dürfen die Kommunen und Länder nicht alleine gelassen werden“, fordert Umweltministerin Hinz weiter. Rund zwei Drittel der Stickstoffdioxidbelastung gehen zurück auf den motorisierten Individualverkehr. „Die Instrumente die den Ländern und den Kommunen zur Verfügung stehen, haben mittlerweile kaum noch das Potential für nennenswerte Verbesserungen der Luftqualität. Dies muss der Bund endlich zur Kenntnis nehmen und sich der Realität stellen“, betont Ministern Hinz. „Für weitere Verbesserungen der Luftqualität muss der Bund die Rahmenbedingungen für effektive und schärfere Instrumente schaffen. Nur so lässt sich die Stickstoffdioxidbelastung wirksam bekämpfen.“ Als effektiv beschreibt Ministerin Hinz in ihrem Brief an Umweltministerin Hendricks unter anderem folgende Maßnahmen:

  1. Verschärfung der Umweltzonen
    Mit einer Ergänzung der bestehenden Regelungen um ein oder zwei weitere Plakette(n) in der 35. BImSchV (Kennzeichnungsverordnung) könnte die Grundlage einer auch zur NO2-Minderung geeigneten Einfahrtsbeschränkung geschaffen werden. Eine Beschränkung der Einfahrt in Umweltzonen auf Euro-6/VI-Diesel und Benziner ab Euro3/III könnte zwar aus Verhältnismäßigkeitsgründen erst in ein paar Jahren tatsächlich umgesetzt werden, würde aber bis zu 40 Prozent Entlastung beitragen. Die Maßnahme könnte bereits jetzt in den fortzuschreibenden Luftreinhalteplänen aufgenommen werden, was den Betroffenen eine bessere Planung ihrer Fahrzeugbeschaffung erlaubt und die Maßnahme damit auch verhältnismäßig macht.
  2. Einhaltung der Emissionsgrenzwerte im RDE
    Erst im Mai 2015 konnte eine Einigung auf EU-Ebene im Hinblick auf die Messung des Schadstoffausstoßes von Pkw im realen Betrieb (RDE) erzielt werden, obwohl seit langem bekannt ist, dass der derzeitige Prüfzyklus die Emissionen vollkommen unrealistisch abbildet. Auch die EU-Kommission kritisiert Deutschland dafür, bislang eher bremsend auf eine stringente Umsetzung von Anforderungen zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte gewirkt zu haben. In einem zweiten Paket stehen jetzt die konkreten Emissionsvorschriften, der Zeitpunkt der Einhaltung und der Abweichungsfaktor zur Beratung an.
  3. Fortschreibung der Lkw-Maut
    Mit den Änderungen des Bundesfernstraßenmautgesetzes hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zwar von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Mautsätze in einen Infrastrukturanteil und einen Luftverschmutzungsanteil gemäß der EU-Wegekostenrichtlinie zu trennen, dabei aber weder alle Optionen der Richtlinie zum Anteil der Luftverschmutzungskosten ausgenutzt, noch die Kosten in der tatsächlich anfallenden Höhe festgesetzt.
  4. Förderung eines attraktiven ÖPNV-Angebots
    Zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs in den Städten und damit zur Verbesserung der Luftqualität wird seit Jahren der Ausbau des ÖPNV bzw. seine Attraktivitätssteigerung durch höhere Taktzeiten und zusätzliche Verbindung betrieben. Allein die Beförderungsleistung im Schienenpersonennahverkehr konnte in Hessen in den letzten 10 Jahren um ein Drittel gesteigert werden. Durch die seit Jahren verfehlte Bundespolitik, die Regionalisierungsmittel nicht wie notwendig zu dynamisieren, stehen die Länder und Kommunen inzwischen mit dem Rücken an der Wand. Einerseits wird – auch von den Gerichten – gefordert, ÖPNV in entsprechendem Umfang zur Verfügung zu stellen, andererseits zieht sich der Bund immer weiter aus dieser Daseinsfürsorge zurück.
  5. Änderung der Energiebesteuerung von Dieselkraftstoff
    Die derzeitige Belastungssituation geht im Wesentlichen auf Dieselfahrzeuge zurück. Deren extreme Zunahme in den letzten Jahren ist nicht zuletzt begründet in der Subventionierung des Dieselkraftstoffes. Der u.a. aus Klimaschutzgründen von der Bundesregierung bevorzugte Kraftstoff trägt beispielsweise bei einem Euro-5-Pkw zwar zu ca. 20 Prozent weniger CO2-Emissionen im Vergleich mit einem Benzinfahrzeug der gleichen Emissionsgruppe bei, emittiert auf gleicher Strecke aber 95 Prozent mehr gesundheitsschädliche Stickoxide. Der an den Tankstellen ständig sichtbare Preisunterschied für die beiden Kraftstoffarten ist für viele Bürgerinnen und Bürger das ausschlaggebende Kaufargument für ein Dieselfahrzeug. Nur durch eine Angleichung der Steuersätze könnte der Dieselboom gebrochen werden. Zur Schonung des Gewerbeverkehrs käme z.B. entweder eine schrittweise Anhebung des Dieselsteuersatzes bei gleichzeitiger Senkung des Benzinsteuersatzes bis auf ein gleiches Niveau oder eine Abschaffung der Subventionen nur für Diesel-Pkw in Frage. Die Energiesteuerrichtlinie würde eine ausreichende Rechtsgrundlage dafür bieten.
  6. Förderung elektrischer Antriebe
    Das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge in Deutschland in Betrieb zu haben, wird nach Expertenmeinung deutlich verfehlt. Es reicht nicht aus, nur Forschungsvorhaben zu unterstützen oder Leuchtturmprojekte zu installieren. Der Unterschied in den Anschaffungskosten zwischen Elektro- und einem konventionellen Antrieb ist bisher noch so eklatant, dass sich aus Sicht der Autokäufer keine wirkliche Alternative bietet. Hier sind weitere Fördermaßnahmen erforderlich, um einen Umschwung herbeiführen. Hier sind unter anderem Förderprodukte für Taxen und Lieferdienste aber auch für Hybrid- und Elektrobussen erforderlich. Damit böte sich eine Chance für die Automobilindustrie den Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge deutlich zu erhöhen, was gleichzeitig die Entwicklungskosten senken würde.

„Anders als bei den Ländern und den Kommunen, hat der Bund noch erhebliche Spielräume um die Luftqualität in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Ein pauschaler Verweis auf die Zuständigkeit der Länder in der Luftreinhaltung ist auch vor dem Hintergrund der Aussagen im dem Mahnschreiben der EU-Kommission nicht mehr akzeptabel“, appellierte Umweltministerin Priska Hinz an ihre Amtskollegin im Bund. Bei allen Initiativen des Bundes, die zu einer Verbesserung der Luftqualität führten sicherte Hinz die Unterstützung des Landes Hessen zu.

Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz direkter Link zum Artikel