EU-Forststrategie: "teils ermutigend, aber zu zaghaft"

Naturschutz & Biodiversität

Der Schutz, die Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung sowie die Gewährleistung der Multifunktionalität der Wälder in der EU stehen im Mittelpunkt der neuen EU-Waldstrategie 2030.


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Kurz nach der Vorstellung eines großen Teils des "Fit for 55"-Klimapakets hat die EU-Kommission am letzten Freitag die vorher bereits angekündigte Mitteilung, Fragen und Antworten dazu sowie einen Fahrplan und eine Webseite für die Pflanzung von 3 Milliarden Bäumen innerhalb der nächsten neun Jahre vorgelegt.

Was steckt drin in der neuen Waldstrategie?

Um die EU-Kommission zu zitieren: "Die Strategie enthält eine Vision und konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Quantität und Qualität der Wälder in der EU und zur Stärkung ihres Schutzes, ihrer Wiederherstellung und ihrer Widerstandsfähigkeit. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden die Kohlenstoffbindung durch verbesserte Senken und Bestände erhöhen und so zur Eindämmung des Klimawandels beitragen." Außerdem:

  • verpflichtet sich die EU zum strengen Schutz von Primär- und Altwäldern,
  • soll geschädigte Wälder wiederhergestellt werden und ihre nachhaltige Bewirtschaftung unter Wahrung der lebenswichtigen Ökosystemdienstleistungen von Wäldern gewährleistet werden
  • die klima- und biodiversitätsfreundlichsten Waldbewirtschaftungsmethoden sollen gefördert werden
  • die Nutzung von Holzbiomasse soll sich notwendigerweise im Rahmen der Nachhaltigkeit zu halten
  • fördert die Strategie laut EU-Kommission "eine ressourcenschonende Holznutzung im Einklang mit dem Kaskadenprinzip".

Die Strategie sieht auch die Entwicklung von Zahlungsregelungen für EU-Bürger*innen, die Wald besitzen oder bewirtschaften vor, die alternative Ökosystemdienstleistungen erbringen, beispielsweise Teile ihrer Wälder unberührt lassen. Bezahlt werden soll dies unter anderem aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und anderen Quellen. Es soll eine neue Verwaltungsstruktur geben, die allen Betroffenen einen "inklusiveren Raum bieten" soll, "um über die Zukunft der Wälder in der EU zu diskutieren und diese wertvollen Ressourcen für die kommenden Generationen zu erhalten". Darüber hinaus enthält die Waldstrategie eine Ankündigung für einen Legislativvorschlag zur Intensivierung der Überwachung, Berichterstattung und Datenerhebung zum Thema Wald in der EU. Zur Strategie gehört außerdem ein Fahrplan für die Anpflanzung von drei Milliarden zusätzlichen Bäumen in ganz Europa bis 2030 unter uneingeschränkter Achtung der ökologischen Grundsätze – "der richtige Baum am richtigen Ort für den richtigen Zweck".

Die "Unterstützung einer starken und nachhaltigen waldbasierten Bioökonomie" soll Hand in Hand mit der oben erwähnten Förderung der biodiversitäts- und klimafreundlichsten Waldbewirtschaftungsmethoden gehen. Die Holzwirtschaft mache 20 Prozent der verarbeitenden Unternehmen in der gesamten EU aus, sichere 3,6 Millionen Arbeitsplätze und verzeichne einen Jahresumsatz von 640 Milliarden Euro, so die EU-Kommission. Die Strategie setzt auf eine "optimale Holznutzung im Einklang mit dem Grundsatz der Kaskadennutzung" und soll besonders langlebige Holzprodukte fördern, die ihre aus fossilen Ressourcen gewonnenen Gegenstücke ersetzen können. Holz sollte demnach in folgender Reihenfolge verwendet werden: Zunächst sollten hochwertige Produkte auf Holzbasis wie Baumaterial oder Möbel – davon verspricht man sich die Speicherung von Kohlenstoff in langlebigen Holzprodukten, die auf die nationalen Ziele für den CO2-Abbau angerechnet werden dürfen – so lange wie möglich als solche verwendet werden, bevor sie für einen anderen Zweck genutzt oder recycelt werden. Erst wenn diese Verwendungszwecke ausgeschöpft sind, soll das Holz zur Bioenergiegewinnung eingesetzt werden, und es sollte nur entsorgt werden, wenn es für keinen anderen Zweck mehr geeignet ist. Auch der Ökotourismus soll gefördert werden.

Reaktionen von EEB, FERN und WWF

Kurz und knapp war die erste Einschätzung des Europäischen Umweltbüros (EEB). "Gut: Schutz, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder verstärken – schlecht: Schwächung der gesetzlichen Instumente zu freiwilligen Maßnahmen, Einknicken unter dem Druck der Forstindustrie" heißt es in einem Tweet des EEB. Der Umweltdachverband spielte damit auf den Aufschrei und die heftigen Reaktionen der Forstindustrie nach dem Durchsickern des Entwurfs der EU-Waldstrategie an (EU-News 24.06.2021). Auch die Landwirtschaftsminister*innen aus elf Ländern hatten sich gegen bestimmte Auflagen aus dem Leak stark gemacht.

"Wie können die EU-Mitgliedstaaten Länder wie Indonesien und Brasilien auffordern, die Abholzung zu stoppen, sich dann aber gegen die einfache Idee der Überwachung des Holzeinschlags in Europa wehren? Indem sie sich gegen die ursprüngliche Waldstrategie der Europäischen Kommission gestellt haben, haben die Agrarminister in ganz Europa gezeigt, dass sie den tragischen Zustand der europäischen Wälder leugnen", protestierte die Waldschutzorganisation FERN. Angesichts der zu bewältigenden Herausforderungen nannte die Waldschutzorganisation FERN die EU-Waldstrategie der EU-Kommission "ermutigend, aber zu zaghaft". FERN-Sprecherin Kelsey Perlman erklärte, dass die EU gesunde, vielfältige Waldökosysteme brauche, um bis 2050 Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die Waldstrategie beinhalte zwar einige Schritte, um die Wälder besser zu überwachen und zu verwalten, "aber sie kann die gigantische Nachfrage nach Holz, die durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie und die ungebremste Förderung der Bioökonomie angetrieben wird, nicht adressieren". Die Zerstörung sei bereits per Satellitenüberwachung sichtbar und die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen dagegen zu zögerlich.

Bis jetzt habe die EU nur Daten erhalten, die sich auf die Biodiversität der Wälder in Schutzgebieten bezögen, dabei sammelten die EU-Mitgliedstaaten ähnliche Daten über alle Wälder der EU ohne sie aber mitzuteilen. Dieser "Mangel an Transparenz" verhindere, dass die Beteiligten ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen der industriellen Forstwirtschaft haben. Die endgültige Waldstrategie schlägt vor, dieses Problem mit einem neuen EU-Gesetz zu beheben, was aus Sicht von FERN "den Grundstein für eine viel fundiertere und gesündere Debatte über den Zustand der EU-Wälder legen" könnte. Leider verknüpfe die Kommission nach intensiver Lobbyarbeit dieses Gesetz nicht mehr mit verbindlichen Indikatoren.

Das WWF-Europabüro kritisierte ebenso, dass unterm Strich durch den Lobbydruck doch wieder "wirtschaftliche Gewinne über viele Klima-, Biodiversitäts- und soziale Überlegungen" gehen. Die im Entwurf noch enthaltene Reihe von verbindlichen Kriterien zur Beurteilung, ob ein Wald "nachhaltig bewirtschaftet" ist, soll in der endgültigen Version nur noch auf freiwilliger Basis angewendet werden. Die Argumente für mehr Holzeinschlag und Ausbeutung aus sozio-ökonomischer Sicht sei "in vielerlei Hinsicht falsch". Nicht zuletzt, wenn die Wälder in der gesamten EU ihre Fähigkeit verlören, Treibhausgase zu binden und zu speichern, und sich ihr Gesundheitszustand verschlechtere. Zwar soll laut Strategie die Bioökonomie innerhalb nachhaltiger Grenzen angekurbelt werden, aber der WWF kritisiert fehlende konkrete Schutzmaßnahmen, um eine intensivere Waldbewirtschaftung und -ernte zu verhindern, die den Klima- und Biodiversitätszielen der EU zuwiderlaufen. Dies sei "ein doppelter Schlag angesichts der beschämenden Entscheidung der Kommission in dieser Woche, sich auf die Seite der Biomasse-Industrielobby zu stellen und jede sinnvolle Überarbeitung der Regeln für Bioenergie in der Richtlinie für erneuerbare Energien (RED) abzulehnen", so der WWF. In der erneuerten RED gäbe es weiterhin Anreize für die Verbrennung von Bäumen zur Energiegewinnung. Da die Waldstrategie kein Rechtsinstrument sei, werde sie nicht in der Lage sein, den notwendigen Wandel für die Wälder voranzutreiben. Denn in den "relevanten Gesetzen wie RED und LULUCF" spiegele sich dieser nicht wider.

Hintergrund

Derzeit sind laut EU-Kommission 43,5 Prozent der Fläche der EU und damit knapp 182 Millionen Hektar von Wäldern und anderen bewaldeten Flächen bedeckt. Die Waldfläche habe sich in den letzten Jahrzehnten durch natürliche Prozesse, Aufforstung, nachhaltige Bewirtschaftung und aktive Wiederherstellung zwar vergrößert. Parallel dazu habe sich jedoch der Verlust an Baumbedeckung beschleunigt. Der Erhaltungszustand der Wälder sei schlecht, was auch die 27 Prozent der geschützten Waldfläche der EU betrifft, deren Gesundheitszustand aus Artenschutz- und Klimaschutzgründen am wichtigsten ist.

Eine Petition gegen Kahlschlag, um ein EU-weites Kahlschlagverbot in verschiedenen Politikmaßnahmen der EU zu verankern, hatte kürzlich die Grünen-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg mit anderen MdEPs gestartet. Die Petition läuft noch.

DNR: Deutscher Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen e.V. direkter Link zum Artikel