Renaturierung: Wald, Moor, Fluss, global

Naturschutz & Biodiversität

Ende 2021 will die Europäische Kommission ihr Naturwiederherstellungsgesetz veröffentlichen - mit verbindlichen Renaturierungszielen.


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Derzeit laufen hinter den Kulissen Konsultationen mit Expert*innen aus Mitgliedsländern, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (JRC) hatte im Mai die Ergebnisse bisheriger Forschungen für die Politik zusammengetragen (EU-News 25.05.2021). Renaturierungsziele werden unterschiedliche Lebensräume umfassen. Hier einige Informationen über Wälder, Moore und Fließgewässer. Die Weltnaturschutzunion wiederum fragt, was eine hochqualitative Ökosystemrenaturierung eigentlich ausmacht.

Beispiel Wälder: Keine Ziele für bewirtschaftete Wälder?

Nach Informationen der Waldschutzorganisation FERN erwägt die EU auch Initiativen zur Wiederherstellung europäischer Wälder. Nichtregierungsorganisationen seien besorgt, dass die darin enthaltenen Ziele nicht ehrgeizig genug sein könnten und nur geschützte Wälder berücksichtigen und Biodiversitätsziele für bewirtschaftete Wälder ausblenden. Denn die EU-Kommission sage, sie brauche mehr Zeit, um solche Ziele festzulegen. Dabei, so FERN, existierten entsprechende Daten bereits auf der Ebene der Mitgliedstaaten, so dass die Kommission diese für das Wiederherstellungsgesetz nur anfordern müsse.

Das EU-Parlament bzw. der Umweltausschuss hatte für die europäischen Wälder aus Sicht von FERN klare Handlungsaufforderungen geäußert (EU-News 09.06.2021 und 28.05.2021):

  • Die EU muss einen EU-Naturwiederherstellungsplan aufstellen und ein ehrgeiziges Ziel für den Kohlenstoffabbau im Einklang mit den Biodiversitätszielen beschließen;
  • Die EU muss ein spezifisches und verbindliches Ziel für die Wiederherstellung und den Schutz von Waldökosystemen beschließen, einschließlich der Sicherstellung eines strikten Schutzes der wenigen verbleibenden Primär- und Altwälder;
  • Die EU muss Klima-, Biodiversitätsschutz und Wiederherstellung in die neue EU-Waldstrategie integrieren [voraussichtliche Veröffentlichung der Waldstrategie am 20. Juli 2021];
  • Die EU muss die EU-Vorschriften zur energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Taxonomierichtlinie überarbeiten und angleichen;
  • Die Mitgliedsstaaten müssen die Gesetzgebung gegen illegalen Holzeinschlag verschärfen.

Solche Aufrufe stünden in direktem Zusammenhang mit der bevorstehenden Gesetzgebung über rechtlich verbindliche Ziele zur Wiederherstellung der Natur, die für Ende dieses Jahres erwartet wird. Beim letzten geschlossenen Workshop Ende Mai hätten die Kommissionsbeamten ihre aktuellen Ideen zu den Waldwiederherstellungszielen mitgeteilt, die FERN aber "zögerlich und wenig ehrgeizig" erschienen.

Statt breiter Ziele, die alle Ökosysteme in den EU-Wäldern abdecken, habe die Kommission nur für einen kleinen Prozentsatz der unter der Habitat-Richtlinie geschützten Ökosysteme, die etwa ein Viertel der EU-Wälder ausmachen, spezifische Ziele formuliert. Dieser zaghafte Schritt sei mit einer abwartenden Strategie für andere Wälder kombiniert worden, die dringend der Wiederherstellung bedürften. Für diese bewirtschafteten Wälder hätten die Beamten vorgeschlagen, dass ein Prozess entwickelt werden könnte, um ein Monitoring einzurichten, Indikatoren zu entwickeln, um ein Ziel zu verfolgen (Totholz- oder Baumkronendeckung), und Basislinien zu entwickeln (Menge an Totholz und Bäumen in einem bestimmten Gebiet). Die meisten dieser Informationen würden aber bereits von den Mitgliedsstaaten erfasst, die EU müsse sie lediglich zusammenstellen. FERN forderte, dass die EU-Kommission die Auffassung des Parlaments ernster nehmen müsse.

Im Dezember 2021 soll darüber hinaus ein Weißbuch veröffentlicht werden, das Überlegungen zur Kohlenstoffbewirtschaftung und zur Zertifizierung des Kohlenstoffabbaus enthält.

Wie die Wiederherstellung von Moorgebieten helfen kann, den Klimawandel zu besiegen

Im Kampf gegen den Klimawandel spielen Moore eine entscheidende Rolle, heißt es in einem Fachartikel auf der Seite von BirdLife Europa. Torf besteht aus teilweise zersetzter Vegetation, die ein wenig wie Erde aussieht. Torfgebiete nehmen auf natürliche Weise Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf und speichern ihn. Obwohl Torfgebiete nur 3 % der Landfläche der Welt bedecken, enthalten sie ein Drittel des weltweiten Bodenkohlenstoffs. Doch Torfmoore werden entwässert und durch intensive Landwirtschaft und schlecht durchdachte Baumplantagen ersetzt. Dabei ist die Wiederherstellung von Mooren doppelt so effizient wie das Pflanzen von Bäumen. Weltweit ist die Zerstörung von Torfgebieten für etwa 5 Prozent des in die Atmosphäre abgegebenen Kohlenstoffs verantwortlich - doppelt so viel wie der Flugverkehr.

Am Beispiel des Care-Peat-Projektes erläutert die Biologin Katrien Wijns von der niederländischen Organisation Natuurpunt, wie torfhaltige Feuchtgebiete und Moore wiederhergestellt werden können. Das noch bis 2022 laufende Projekt erstreckt sich über fünf Länder: Belgien, Frankreich, Irland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Neun Organisationen arbeiten zusammen, um die Kohlenstoffspeicherkapazität verschiedener Arten von Torfgebieten in Nordwesteuropa wiederherzustellen und die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Wiedervernässung, das Pflanzen von Torfmoorpfropfen oder das Anlegen von Torfdämmen oder Torfgruben bringen - so die Projekterfahrungen - nach relativ kurzer Zeit die Natur zurück.

In ganz Europa müssten Moorgebiete dringend wiederhergestellt werden, so Wijns. Das durch das europäische Interreg-Programm geförderte Care-Peat-Projekt könne anderenorts wiederholt werden. "Wir stecken in einer Klimakrise, die Wiederherstellung von Mooren sollte eine Selbstverständlichkeit sein!" Dies sei nicht nur gut für das Klima, sondern auch für die Artenvielfalt, den Hochwasserschutz und helfe sogar, die Gefahr von Waldbränden zu verringern, sagte die Biologin. Jedoch müsse die EU-Politik konsistent sein, europäische Klimapolitik und die Agrarpolitik sollten sich nicht widersprechen. Stattdessen sollte die Gemeinsame Agrarpolitik genutzt werden, um den Schutz und die Wiederherstellung von landwirtschaftlich genutzten Torfgebieten sicherzustellen, forderte Wijns. Nicht zuletzt sollte von den Verbraucher*innen grundsätzlich nur torffreie Blumenerde verwendet werden.

25.000 Kilometer frei fließende Flüsse – ein Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie

Auch das in der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 (EU-News 20.05.2020) vorgeschlagene Ziel, bis 2030 mindestens 25.000 Flusskilometer zu renaturieren, müsste vom geplanten Gesetzesvorschlag für Naturwiederherstellung abgedeckt werden. Die Hauptelemente des künftigen Rechtsaktes – Definitionen, übergreifende Ziele für Ökosystemwiederherstellung, spezifische Ziele für mit ausreichend Datenmaterial ausgestattete Ökosysteme, eine Methodologie und ein Monitoringsystem für die bisher unzureichend mit Daten bekannten Ökosysteme sowie Durchsetzung, Hilfe zur Umsetzung und Vorgaben für nationale Pläne – gilt es auch im Hinblick auf Fließgewässer zu erarbeiten. Auch binnenländische und Küstenfeuchtgebiete wären ebenso wie Seen, Schwemmgebiete (alluviale Lebensräume) und marine Lebensräume entsprechend mit spezifischen Zielen auszustattende Habitate.

Es scheint jetzt schon klar zu sein, dass das geplante Gesetz in naher Zukunft einer Revision bedarf, um in einem ersten Schritt entsprechende Daten aus allen Mitgliedstaaten zu sammeln und daraus für die bisher noch wenig erfassten Ökosysteme in einem zweiten entsprechende Renaturierungsziele festzulegen. Laut Auskunft von Brüsseler Nichtregierungsorganisationen erarbeitet die EU-Kommission derzeit Leitlinien für Flussrenaturierung – ein Entwurf kann noch bis Ende August auf Expert*innenebene kommentiert werden.

Vereinte Nationen läuten Dekade der Renaturierung ein

Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat vor Beginn des offiziellen Starts der UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen (2021-2030) Expert*innen zusammengetrommelt, um herauszuarbeiten, was eine hochqualitative Renaturierung eigentlich ausmacht. Wesentliche Elemente, die für eine qualitativ hochwertige Wiederherstellung von Ökosystemen erforderlich sind, seien unter anderem folgende:

  • Wirksame Wiederherstellungsmaßnahmen müssen identifizieren, wie, wann und wem/welchem Bereich die Vorteile der Wiederherstellung zugute kommen.
  • Wichtige Vorbedingungen, die eine Wiederherstellung ermöglichen, entscheiden über den Erfolg.
  • Für eine effektive Wiederherstellung von Ökosystemen muss die Planung partizipativ und inklusiv sein und die Prioritäten und Kompromisse, die sich aus den spezifischen Bedürfnissen der Interessengruppen ergeben, abwägen.
  • Um mehr Finanzmittel zu mobilisieren, ist es notwendig, den Fokus nicht nur auf die finanziellen Erträge zu richten, sondern finanzielle, ökologische und soziale Vorteile in Kombination zu berücksichtigen.
  • Nicht zuletzt müssten die Erfolge kontrolliert (Monitoring) und Ereignisse vorausschauend betrachtet und angegangen werden (adaptives Management), damit die Wiederherstellung wirksam und langfristig ist.

Es müssten vor allem auch die Vorteile auf den unterschiedlichen Ebenen – von der lokalen Versorgung mit Wasser, Nahrung und Medikamenten bis hin zur Regulierung unseres Klimas auf globaler Ebene – herausgestellt werden, damit alle mitmachen. Denn realistisch betrachtet könnten nicht überall alle Perspektiven (ökologisch und sozial) gleichzeitig maximal verfolgt werden, es dürfte eine Reihe kritischer Kompromisse geben. Die Wiederherstellung von Ökosystemen müsse kosteneffizient, optimiert, fair und nachhaltig sein – was über eine reine Umweltthematik hinausgeht, da systemweite Transformationen gefragt seien. Nicht zuletzt müsse das ganze solide finanziert werden. Laut IUCN beläuft sich eine aktuelle Schätzung der Finanzierungslücke für Wiederherstellung und Schutz auf 824 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Es brauche eine Kombination aus öffentlichen und privaten Kapitalflüssen, um die Wiederherstellung in größerem Umfang zu ermöglichen.

Die wissenschaftliche Arbeitsgruppe will ihre Ergebnisse auch auf dem Weltnaturschutzkongress im französischen Marseille im September vorstellen.

DNR: Deutscher Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen e.V. direkter Link zum Artikel